Vor zehn Jahren schrieb Kolumnistin Caitlin Moran mit "How to be a woman" ein neues feministisches Manifest. Fall abgeschlossen, dachte sie. Bis sie feststellte, dass das Leben für Frauen in mittleren Jahren noch mal ganz neue Herausforderungen bereithält.
Caitlin Moran – Wie kriegt man das hin mit dem Frausein?
Zehn Jahre können eine verdammt lange Zeit sein. In ihr können Weltreiche gestürzt, althergebrachte Haltungen gedreht, Grenzen überschritten und Territorien erweitert werden (letztere besonders zuverlässig am eigenen Körper, vor allem in der Dekade, in der man die Grenze zur 40 überschreitet). Vor zehn Jahren verkündete die englische Schriftstellerin und "The Times"-Kolumnistin Caitlin Moran ihrer Agentin, dass sie ein Buch schreiben wolle, das so ähnlich werden sollte wie der von ihr verehrte, feministische Klassiker "Der weibliche Eunuch" von Germaine Greer, "nur zusätzlich mit ein paar lustigen Kommentaren über meine Unterhosen". Moran war damals 35, verheiratet mit einem freundlichen Musikjournalisten, Mutter zweier kleiner Töchter und quasi seit 1975 Vollzeit damit beschäftigt, herauszufinden, wie man das mit dem Frausein einigermaßen ordentlich hinkriegt. Mit sieben Geschwistern und zwei Hippie-Eltern in ziemlich armen Verhältnissen im Kohlebergbauort Wolverhampton aufgewachsen, hatte sie zumindest schon früh gelernt, wie man seinen Platz behauptet: nicht nur in der Welt, sondern auch im geschwisterlich geteilten Bett oder auf der einzigen Toilette des Hauses.
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Das neue feministische Manifest: "How to be a woman"
Schreiben erschien ihr damals als die einzige Möglichkeit, irgendwann Geld zu verdienen und ausziehen zu können. Mit 15 schrieb sie ihren ersten Roman, mit 16 begann sie beim Londoner Musikmagazin "Melody Maker", wo sie den Grundstein für ihre Karriere legte, ihren späteren Mann kennenlernte und – kettenrauchend und stets mit einem ausladenden Hut bekleidet – zeigte, dass auch Frauen sich Teufel noch mal im Musikgeschäft behaupten können (was sie notfalls auch mit schmerzhaften Tritten vor herablassende Kritiker-Schienbeine bekräftigte). Eine Rockstar-Ära, zwei schmerzhafte Geburten und zehn Ehejahre später hatte Caitlin Moran also das Gefühl, die härteste Hälfte der Frauwerdung soweit abgeschlossen zu haben, dass sie sich mit ihren bis dahin angesammelten Erkenntnissen und zahllosen Zigaretten hinsetzte und in einem atemlosen (aber nicht alkohollosen) Rausch das Buch herunterschrieb, das das neue feministische Manifest der Zehnerjahre werden sollte: "How to be a woman – Wie ich lernte, eine Frau zu sein".
Frauen waren weiter die stillen Loser der Geschichte
Tatsächlich plätscherte die vierte Feminismus-Welle zu diesem Zeitpunkt eher friedlich zwischen den Kaimauern der leiser gedrehten Girl-Power-Bewegung und den Gender-Studiengängen der akademischen Welt dahin, wo sie in endlosen Theorie-Diskussionen zu versickern drohte. Im wahren Leben wurde die weibliche Hälfte der Erdbevölkerung aber immer noch schlechter bezahlt, gehört und respektiert. Frauen waren weiterhin die stillen Loser der Geschichte, auch wenn sie nun zwischendurch lauthals "Zig-a-zig-ah!" grölten. "How to be a woman", das 2011erschien und zum internationalen Bestseller wurde, wirkte da wie ein gewaltiger Dammbruch, weil Caitlin Moran sich nicht scheute, einfach mal alle Dinge anzusprechen, die ein Frauenleben so ausmachen – und zwar die tiefgreifenden ebenso wie die banalen: von Sexismus im Job über Körperhaarentfernung bis zum Recht auf Abtreibung, von den Unwägbarkeiten der Kinder-, Karriere- und Menstruationsplanung bis zur Suche nach dem wichtigsten Halt im Leben – einem tragfähigen BH, der einem nicht die dringend benötigte Blutzufuhr ins Gehirn abschnürt.
Ich kann über jeden Aspekt meiner Psyche und meines Körpers reden und es einfach unglaublich komisch finden"
Caitlin MoranTweet
Der Feministinnen-Selbsttest
Zu all diesen Themen lieferte Moran schlaue Gedanken und ehrliche Betrachtungen, die sie so geschickt in Anekdoten ihres eigenen Lebens verpackte, dass niemand auf die Idee kommen konnte, sich von oben herab belehrt zu fühlen. Sie erfand auch einen praktischen Emanzipations-Schnelltest, um ein für alle Mal Begriffsklarheit zu schaffen: "1. Haben Sie eine Vagina? 2. Möchten Sie selber über sie bestimmen? Sie haben beide Fragen mit ‘Ja‘ beantwortet? Herzlichen Glückwunsch, Sie sind eine Feministin." All das war so schreiend lustig aufgeschrieben, dass diese britische Humormaschine quasi im Alleingang das Vorurteil zerbröselte, Emanzipation sei gleichbedeutend mit bitterernstem, verklemmten Moralaposteltum. "In meinem Gehirn muss irgendwas falsch verdrahtet sein", sagt Moran über sich selbst, "denn ich kann wirklich über jeden Aspekt meines körperlichen oder emotionalen Zustandes reden und es einfach unglaublich komisch finden."
Weibliche Masturbation ist mittlerweile netflixfähig
Heute, zehn Jahre und eine MeToo/BodyPositivity/Freethenipple-Hashtagflut später scheint es ein wenig absurd, dass sie es dank ihres offenherzigen Kapitels über weibliche Masturbation 2011 in die BBC-Hauptnachrichten schaffte, weil das Thema so brandneu war. Noch heute erinnert sich Caitlin Moran gern, wie das Interview bizarrerweise zu der Frage führte, ob es so etwas wie "Clown-Pornos" gäbe: "Das Gesicht des Moderators sah zu diesem Zeitpunkt sehr unglücklich aus. Als er ungläubig den Ausdruck ‘Clown-Pornos' wiederholte, wirkte er wie ein vornehmes Rennpferd, das gerne für immer über die Hügel davongaloppieren würde." Weibliche Masturbation ist mittlerweile gesellschafts- und netflixfähig, die Menstruation enttabuisiert, sodass Frauen für bessere Hygienestandards und billigere Tampons kämpfen können, und jedes Modelabel, das etwas auf sich hält, bedruckt Shirts mit dem einst so unsexy besetzten Wort "Feministin". Caitlin Moran könnte sich also gemütlich zurücklehnen, "Meine Arbeit ist getan" sagen und den Lebensstil verfolgen, von dem sie mit Mitte 30 annahm, dass sie ihn mit Mitte 40 pflegen würde: "Mittagessen mit Freunden und nur noch Leinenhosen tragen".
Das mittlere Alter hält für Frauen ganz neue Überraschungen bereit
Andrea BendaTweet
Die Arbeit war nicht getan, sondern hat sich verändert
Womit sie nicht gerechnet hatte: Die Arbeit war nicht getan. Sie hatte sich nur verändert. Dachte Moran mit Mitte 30 noch, dass das Schlimmste nun hinter ihr läge – die ständige Selbsterfindung in verschiedenen Rollen, die aufreibende Phase der Familien- und Karriereplanung – stellte sie zehn Jahre später fest, dass das mittlere Alter für Frauen ganz neue Überraschungen bereithält. Nicht nur die Tatsache, dass Teile des Körpers zunehmend knirschen oder unkontrolliert aus dem Leim gehen und dass eine Botoxspritze billiger ist als der Aufwand, den man betreiben müsste, um auf natürliche Weise weniger erschöpft auszusehen. Besonders kalt erwischt wurde sie von der Erkenntnis, dass man als Frau Mitte 40 plötzlich diejenige ist, auf die sich alle anderen blind verlassen: die Teenager-Kinder, die Halt brauchen, die alten Eltern, die Pflege brauchen, die Männer, die den Mental Load nicht gleichermaßen schultern, die Freund:innen, die durch harte Scheidungen gehen. All das, während man selber weniger denn je das Gefühl hat, die richtigen Antworten zu kennen – und auch nicht mehr genug alkoholauflösende Enzyme besitzt, um sich betrinken zu können, ohne am anschließenden Kater zugrunde zu gehen.
More than a woman – voll mit harten Wahrheiten und doch tröstlich
Folgerichtig hat Caitlin Moran über all das wieder ein Buch geschrieben: "More than a woman". Weil es eben nicht reicht, zu lernen, wie man eine einigermaßen zufriedene Frau wird, sondern weil man danach besser noch über sich hinauswächst, um mehr als eine Frau zu sein: Im Idealfall also mindestens zwei Frauen, "weil alles so verdammt viel schlimmer wird". Wieder schafft sie den Spagat, harte Wahrheiten nicht auszusparen (etwa wenn sie herzzerreißend ehrlich über die mittlerweile überstandene Essstörung ihrer Tochter schreibt), dabei aber so differenziert, komisch und weise zu schlussfolgern, dass selbst bei Frauen, die jünger oder kinder- und ehelos sind, ein großes Gefühl des Trostes aufkommen dürfte: dass man mit dieser komplizierten Angelegenheit, heutzutage irgendwie seine Frau stehen zu müssen, nicht alleine ist.
Der Feminismus ist unser Herzensfanprojekt
Solidarität sei sowieso weiterhin der Schlüssel zum Feminismus, sagt Caitlin Moran. Die muss nicht bedingungslos sein, weil es natürlich auch doofe, toxische Frauen gibt, die man kritisieren können muss, ohne gleich den Vorwurf zu ernten, die ganze Schwesternschaft zu verraten. Aber eine wohlwollende Solidarität, die davon ausgeht, dass der Feminismus ein großes Herzensfanprojekt ist, an dem viele mitstricken dürfen. Auch die Männer. Und da Caitlin Moran nunmehr seit über vier Jahrzehnten einer optimistischen Sicht der Dinge zuneigt, verriet sie dem "Scottish Herald", warum es natürlich doch ganz hervorragend ist, endlich eine Frau in mittleren Jahren zu sein: "Wenn du erst mal 45 bist, gehen dir viele Dinge einfach am Arsch vorbei, und ich wünschte, ich könnte jüngeren Frauen etwas davon abgeben. Wenn junge Frauen die 'I don't give a fuck'-Haltung von älteren Frauen hätten, könnten wir die Welt in etwa 20 Minuten übernehmen."
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