
Warum es dumm ist, seine Träume aufzuschieben

Gitarre spielen, einen Podcast starten, sich selbstständig machen
– na, vielleicht überüberübernächstes Jahr. Wieso verschieben wir gerade unsere Herzenswünsche immer wieder in die Zukunft? Hier kommen sehr gute Gründe fürs Jetzt-Machen
Es begann mit einer Reise
Von Jahr zu Jahr hatten wir es aufgeschoben. Weil wir meinten, wir könnten uns so viel Urlaub am Stück gar nicht leisten. Weil unser jüngerer Sohn zu Hause die Bude auf den Kopf stellen würde. Weil die Sommer in Italien eh viel zu heiß sind. Also blieb es bei der Sehnsucht. Träume können warten, es reicht doch, wenn sie unseren Kopf mit angenehmen Gefühlen füllen. Oder? Im letzten Sommer haben wir uns dann endlich aufgemacht: vier Wochen Italien, keinen Tag kürzer. Solch eine ausgedehnte Reise habe ich zuletzt zu Studentenzeiten gemacht. Man fährt los, plant wenig, die Tage gehen ins Land, warm, faul, erwartungsarm, und die Zeit dehnt sich auf wundersame Weise. Genau dieses Lebensgefühl hatten wir erträumt. Und unser Mini-Sabbatical in einem Ort oberhalb vom Gardasee unendlich genossen.
Warum schieben wir ausgerechnet das, was uns gut tut, solange auf?
Wie es kam, dass wir uns schließlich doch entschieden haben? Womöglich weil mein Mann vor einiger Zeit sehr krank war. Weil wir uns durch die Krankheit noch näher gekommen sind und die gemeinsame Zeit wieder mehr schätzen. Häufig sind es leider erst die Krisen, die uns darauf stoßen, dass wir mehr für unser Glück tun können. Warum ist das so? Warum schieben wir ausgerechnet das, was uns guttun würde, so lange auf? Träume sind Schäume, heißt es. Wir alle haben völlig selbstverständlich verinnerlicht, dass unsere Träume bei uns Schlange stehen müssen. Der Gleitschirmflug, die Weltreise, das Buch, das ich unbedingt schreiben möchte, das Klavierspielen, das ich so gern lernen möchte.
Permanenter Erledigungsmodus hält uns vom Glück ab
Dummerweise gibt es immer vernünftige Gründe, das alles nicht zu machen, was wir uns so sehr wünschen: Projekte im Job, Kinder, die alten Eltern, Erwartungen, die andere an uns stellen. Die vielen Aufgaben schreien uns die Ohren voll: Ich bin dringend! Und dann gleich ich! So schalten wir auf permanenten Erledigungsmodus, hoffen auf bessere Bedingungen (wenn das berufliche Projekt abgeschlossen ist, die Kinder aus dem Haus sind etc.), die es so aber vermutlich niemals geben wird. Wir vertagen unser persönliches Glück auf morgen, übermorgen, auf einen fernen Tag X, an dem uns vielleicht längst der Himmel auf den Kopf gefallen ist (oder eine lebensbedrohliche Pandemie das Zepter übernommen hat). Anstatt unseren Träumen zu trauen und sie ernst zu nehmen – schließlich sind es keine Hirngespinste, sie haben unmittelbar mit uns selbst zu tun.
Warum sabotieren wir unsere Sehnsüchte?
Warum sabotieren wir eigentlich so beharrlich unsere eigenen Sehnsüchte und Bedürfnisse? Um die Frage zu beantworten, lohnt es sich, einmal in unser Gehirn zu schauen. Unser Hirn ist im Grunde nämlich ein alter Spießer: Es liebt Bekanntes und hasst Unvertrautes. Es verfügt über Erinnerungen aus der Vergangenheit, bearbeitet Erfahrungen, die wir in der Gegenwart machen. Auf dieses Wissen können wir zurückgreifen, müssen uns nicht mit Unbekanntem herumschlagen. Für das, was in der Zukunft liegt, hat das Gehirn dagegen keine Bilder und Erfahrungen gespeichert. Das führt dazu, dass wir möglichst die gut ausgetretenen Trampelpfade einschlagen, wir zum Beispiel immer denselben Weg zur Arbeit nehmen, anstatt auch mal eine andere Strecke auszuprobieren.