
Halt, Grenze! Ihr kommt mir alle zu nah!

Unsere Autorin liebt ihr Smartphone. Es unterhält, es tröstet, es verbindet. Und doch: Es terrorisiert! Flirtversuche via Xing oder das nächtliche Dauer-Buzzen der Branchen-Facebookgruppe – das ist Grenzüberschreitung! Also: Schluss damit!
Die totale (a)soziale Reizüberflutung
Gibt es eine Steigerung von „anwesend“? Anwesend, anwesender, am anwesendsten? Oder vielleicht: anwesend, online, LTE? Seit wir mit unseren Smartphones sämtliche Kommunikationskanäle unseres Lebens in der Hosentasche tragen, bin ich, nun ja, häufig überfordert.
Der App-Check: Auf meinem heiß geliebten Smartphone befinden sich aktuell ein privater und ein beruflicher E-Mail-Account, immerhin getrennt; Facebook, logisch, inklusive Messenger, WhatsApp, SMS, Twitter, Instagram, Xing, LinkedIn. Die gute alte Telefonie, inklusive FaceTime und Skype natürlich. Immerhin habe ich weder Slack noch Snapchat. Dafür haben auch Apps wie Kleiderkreisel, Ebay-Kleinanzeigen oder – Himmel! – Dating-Apps alle ihre eigenen Nachrichtenkanäle. Die totale (a)soziale Reizüberflutung.
Die Kanäle werden hemmungslos gewechselt
Aber damit nicht genug. Kaum jemand scheint sich noch an die Regeln der gepflegten Kommunikation zu halten – die Kanäle werden hemmungslos gewechselt. Verabredungen zum Lunch über LinkedIn und mentale Notizen der Chefin, nachts über Whats App. Alles erreicht mich unsortiert und ungefiltert. Das geht zu weit. Ihr kommt mir zu nah!
Als Kind der Generation X bin ich mit geradezu altmodischen Kommunikationsregeln aufgewachsen – und in weniger strikte Kommunikationspro-zesse hineingewachsen. Kein Wunder also, dass ich verwirrt bin. Ich hänge an Regeln, die nicht mehr zu gelten scheinen. Früher war das so: Im Beruf schrieb man Mails oder telefonierte. Ob jetzt von 9 bis 17 Uhr oder von 10 bis 22 Uhr, völlig egal – aber danach war Feierabend. Früher schrieb man auch Freunden in Übersee Mails, wenn für Briefe keine Zeit war. Das macht heute keiner mehr, dafür gibt es schließlich Facebook und WhatsApp.
Heute gilt die 24-Stunden-Erreichbarkeit
Digitale Kommunikation hat sich seitdem stark erweitert – und vor allem beschleunigt. Nicht nur durch Blackberry, Smartphone und die 24-Stunden-Erreichbarkeit, die sie mit sich gebracht haben. Sondern auch, weil man sich beruflich nun auch in Netzwerken wie Xing und LinkedIn austauscht. Und weil nicht nur jeder privat, sondern auch jedes Unternehmen auf allen Kanälen seine Botschaft abfeuert.
Für eine Journalistin wie mich sind die sozialen Medien Fundgruben voller Ideen, Protagonistinnen und Geschichten. Es wäre fahrlässig von mir, mich dort nicht aktiv zu bewegen. Und ich habe sogar Spaß daran. Aber ist ein Kontakt dort einmal hergestellt, eine Idee dort geboren, setze ich ein Signal und wechsele zur Mail. Denn da gehört beruflicher Schriftverkehr für mich altmodische Seele eben hin: In Postfächer – nachvollziehbar, rückverfolgbar, gesammelt und nach Feierabend nicht mehr auf meinem Bildschirm. Es ist durchaus ein Privileg, wenn Beruf und Leben so nah beieinander liegen wie bei mir. Aber Work-Life-Integration in allen Ehren – wann und wie weit meine Arbeit mein Leben regiert, das bestimme immer noch ich.
Job-Ideen abends via WhatsApp nerven statt zu inspirieren
Zum Beispiel: Meine Kollegin bekommt immer häufiger abends berufliche Ideen via WhatsApp geschickt. Das nervt doch schon allein deshalb, weil es die schöne Film-und-Wein-Stimmung stört. Eine andere Kollegin bekam kürzlich Glückwünsche zum Geburtstag – auf ihren geschäftlichen Mail-Account. So weit, so in Ordnung ... Doch den Glückwünschen folgte ein Bewerbungsschreiben und statt einer Happy-Birthday-eCard hing ein Lebenslauf an. Nein! So geht das nicht. Ich will auf Xing nicht angebaggert werden, und ich will nachts keine Kollaborationspläne via Facebook geschickt bekommen. Denn die erreichen mich zur falschen Zeit am falschen Ort.
Nach Feierabend brauche ich meine Energie für wichtige private digitale Kommunikation
Abends auf dem Sofa erreicht man Kristina. Nicht Frau Appel, Redakteurin. Für Anfragen steht die erst morgens wieder zur Verfügung. Es gibt einen Grund, warum meine Handynummer weder in meiner Signatur noch auf meiner Visitenkarte zu finden ist. Anfragen, die in meiner Freizeit auf privaten, digitalen Kanälen an mich herangetragen werden, rauben mir Energie. Und zwar Energie, die ich eigentlich für die wirklich wichtigen digitalen Gespräche in meinem Leben brauche: für Facetime mit meiner Nichte, für Chats mit besagten Freunden in Übersee und meinetwegen auch für Flirts.