
Selbstversuch: Orgasmische (!) Meditation
Ja, du denkst genau richtig: Es geht hier um Sex (und zwar mit einem Fremden). Es geht um Intimität, aber vor allem um Selbstliebe. Ein im wahrsten Wortsinn berührender Praxistest
Seit ich mich mit „Orgasmischer Meditation“, kurz OM beschäftige, befinde ich mich auf einer aufwühlenden Reise. Ich begegne Scham, Angst, Lust, Verurteilung, Zweifeln, Verbundenheit, meiner Pussy – und einem Teil von mir. Aber der Reihe nach ...
Ich praktiziere seit drei Jahren intensiv Zen-Meditation und bin für alles aufgeschlossen, was mein Bewusstsein erweitert sowie meine Körperwahrnehmung schärft. Durch das Meditieren hat sich meine sexuelle Sehnsucht verändert. Seit ich mit meinem Körper enger verbunden bin und meine Lebensenergie angestiegen ist, wünsche ich mir nicht nur mehr Sex, sondern auch mehr erfüllende Nähe und Begegnung mit einem Mann. Und dafür möchte ich zuerst in einen tieferen Kontakt mit meiner Sexualität kommen.
Mir gefiel, dass die Frau im Mittelpunkt stand
Im Internet fand ich eine Videoanleitung für „Orgasmische Mediation“. Die Übung sorge für mehr Selbst- und Körperbewusstsein, schule das Einfühlungsvermögen sowie die Fähigkeit, Begierden auszudrücken. Nicole Daedone, die amerikanische Begründerin der „OM“, führt dort mit einem Partner vor, wie es geht: Sie liegt auf dem Rücken mit geöffneten Schenkeln, der Mann sitzt seitlich neben ihr, ein Bein über ihrem Bauch, mit Blick auf das Geschlecht und streichelt mit dem Zeigefinger für 15 Minuten die linke obere Ecke ihrer Klitoris. Er bleibt angezogen, sie ist ab der Hüfte entkleidet. Ein verstörender Anblick von Intimität. Mein Verstand schrie sofort: „Niemals!“ Doch in meinem Körper beobachtete ich eine Wärme im Unterbauch und ein aufgeregtes Kribbeln in den Armen. Spontan gefiel mir, dass die Frau im Mittelpunkt stand.
Selfcare pur: „OMen“ ist eine Praktik wie Yoga
Mir ratterten viele Fragen durch den Kopf, die ich in Hamburg den beiden OM-Coaches Axel Jack Metayer und Eva Aßmuth stellte. Sie erzählten mir bei einem Tee, dass „OMen“ eine Praktik wie Yoga sei, die mit der Übung zu innerer Ruhe, einem guten Selbstwertgefühl und einer erfüllten Sexualität führe. Es gehe dabei weder um Sex noch darum, einen Orgasmus erleben zu müssen. OM bedeute, im Hier und Jetzt wahrzunehmen, was gerade ist. „Die klassische Meditation ist für den Geist und OM fokussiert sich auf den Körper“, sagte Eva. Das sprach mich an, denn ich weiß, wie wichtig es ist, den Körper in die Achtsamkeits-Praxis zu integrieren: immer wieder spüren und wahrnehmen, jenseits der Gedanken.
Meine Freundinnen sahen mich befremdet an
Dennoch zweifelte ich an OM und meine Freundinnen sahen mich befremdet an. Ich wurde stärker verurteilt als wenn ich gesagt hätte: Ich war gestern sturzbetrunken und hatte einen One-Night-Stand. Interessanterweise wunderten sich auch alle, was der Mann wohl davon habe? Da fängt das gesellschaftliche Problem schon an: Sind wir so konditioniert, dass wir denken, ein Mann ist benachteiligt, wenn eine Frau sich ihm völlig intim verletzlich hingibt und von ihm so berührt wird, dass sie in Verzückung gerät? Die Klitoris ist der Punkt, an dem sich im Körper die meisten Nervenenden konzentrieren. Diesen Punkt bewusst zu berühren, muss doch elektrisierend sein. Ein gegenseitiges Geschenk, so könnte man es sehen, wenn Sex nicht nur um die große Explosion gehen soll. „Denn Orgasmus ist für uns nicht nur der Höhepunkt, sondern ein Zustand, in dem man so im Hier und Jetzt absorbiert ist, dass man sein Ich im klassischen Sinne vergisst“, sagt Axel. Dabei fällt der Druck zu „kommen“ beim OMen für beide weg.
Verabredung auf Facebook: „Willst du mit mir OMen?“
Mir hat Sicherheit gegeben, dass es einen festen Rahmen mit einem genauen Ablauf gibt, dass die anderen Frauen, die ich auf Kennenlernabenden traf, gefühlt so dastehen wie ich: mitten im Leben und gleichzeitig auf der Suche nach mehr Tiefe. Und dass die Männer bereit sind, sich nur einzufühlen. Um mir selbst zu begegnen, habe ich mich darauf eingelassen; inzwischen mehrfach, mit verschiedenen fremden Männern, für die ich weder starke Gefühle habe noch möchte ich ihnen gefallen. Das fühlt sich wunderbar befreiend an. Ich habe nach einem ersten geführten OM mit dem Coach zwei Wochen lang geOMt. Es gibt verschiedene Termine in der Woche in festgelegten Räumen. Einer der Coaches ist immer dabei und leitet an. Vorher verabredet man sich mit einem Partner über eine interne Facebook-Gruppe. Man fragt: „Willst du mit mir OMen?“ Als Antwort reicht ein schlichtes „Ja“ oder „Nein“. Für mich beginnt hier schon die Übung, denn ich begegne meiner Angst vor Ablehnung und der Scheu, Nein zu sagen. Es kommen mal sechs, mal zwölf Menschen. Darunter sind Paare, die ihre Lust wiederbeleben wollen; Frauen, die mehr spüren möchten; Männer, die sich ihren Unsicherheiten stellen. Da liegt man dann Matte an Matte – und alle üben synchron dieselben Schritte (siehe Kasten). Von außen betrachtet sieht das ganz komisch aus, aber bleibt man nur im Gefühl und lässt sich fallen, dann ist das ein sehr konfrontierender und deshalb wundervoll intimer Moment. Wenn ich nach links und rechts schaute, sah ich starke Frauen, die leise stöhnten. Und ich fand alle Männer im Raum, die sich so sehr auf das Weibliche fokussierten, auf ihre Art schön.
Ich habe mich bewusst von meiner Pussy führen lassen
Ja, und wie war’s? Die Erfahrung ist so unvergleichbar – mit Sex, Masturbation oder auch Meditation. Ja, es hat mich Überwindung gekostet, mich das erste Mal zu entblößen. Es war wie ein Besuch bei einem attraktiven Frauenarzt. Doch nach dem dritten OM konnte ich alle Bewertungen loslassen und die Reise zunehmend genießen. Was mich berührt hat: achtsame, sensible Männer, die voller Hingabe Frauen erforschen und mit denen man sich offen über Sex austauschen kann. Männer, die einen wirklich anschauen und präsent im Moment mit mir verbunden sind. Frauen, die gemeinsam mit ihren Körpern und ihrer Lust in Kontakt kommen, sich ohne schlechtes Gewissen und ohne Gegenleistung nähern. Ich habe mich ganz bewusst von den Wünschen meiner Pussy führen lassen, um diesen inneren Hunger zu stillen. Ich habe mir erlaubt, intensiv hinzuspüren: Mal fingen meine Oberschenkel an zu zittern, mal spürte ich kleine Stromschläge im Bauch, ein Kribbeln im linken Fuß. Ich fand langsam heraus, was mir guttut, und dirigierte den Mann: „Bitte mehr rechts“, „weniger Druck“. Das hat mich viel Überwindung gekostet, weil ich niemandem zu nahe treten wollte – als sich ein Mann für meine Korrekturen bedankte, kamen mir fast die Tränen! Ich war schockiert, als er mir wiederum als Teil der Übung das Aussehen meines Geschlechts schilderte (wieso habe ich da nie selbst bewusst hingeschaut?) – danach habe ich mich ungewohnt gesehen und akzeptiert gefühlt.
Das ist ein tiefer Kontakt zu meiner Urweiblichkeit
Ich bin energiegeladen, lebendiger, überwinde meine Scham. Aber zwischendurch meldet sich meine zweifelnde Stimme: Huch, was machst du da? Mein neugieriges und von gesellschaftlichen Normen freies Ich antwortet dann: „Ich erforsche meine Weiblichkeit und bekomme dafür sanfte Unterstützung!“ Es fühlt sich an, als hätten die Männer etwas bisher in mir Schlummerndes herausgekitzelt: einen tiefen Kontakt zu meiner urweiblichen Kraft. Ich bin gespannt, wohin mich diese Reise noch führt.