Es ist noch nicht abschließend geklärt, wie es zu den gravierenden Vermögensunterschieden zwischen Männern und Frauen kommt. Ökonomin Christine Laudenbach erforscht den Gender Wealth Gap und hält Selbstvertrauen für einen Schlüssel. Im Interview mit ihr erfährst du auch, wie du selbst beim Vermögen aufholen kannst.
Frauen gehen im globalen Durchschnitt mit nur 74 Prozent des Vermögens der Männer in den Ruhestand. Weltweit betrachtet liegt der Gender Wealth Gap zwischen 60 und 90 Prozent. Das zeigt der "Global Gender Wealth Equity Report" von WTW in Zusammenarbeit mit dem Weltwirtschaftsforum (WEF). In Deutschland beträgt die Lücke demnach 76 Prozent.
Der Gender Wealth Gap ist die Lücke, die gegen Ende des Lebens bleibt, gewissermaßen die Bilanz: Wie finanziell erfolgreich waren die Geschlechter im Vergleich? Die Zahlen sind deutlich, der weibliche Reichtum ist im Schnitt viel geringer. Die Verhaltensökonomin Christine Laudenbach erforscht die Ursachen. Historisch gewachsene Vermögensunterschiede, weniger gut bezahlte Jobs in Teilzeit – all das benachteiligt Frauen. Christine Laudenbach hat mit ihrer Forschung aber auch einen oft übersehenen Faktor in den Blick genommen: Sie hält Selbstvertrauen für einen Schlüsselfaktor: Wie gut fühlen sich Frauen in der Lage, Finanzentscheidungen zu treffen? Die Antworten zeigen uns, wo Frauen ansetzen können, um beim Vermögensaufbau aufzuschließen.
EMOTION: Sie untersuchen den Gender Wealth Gap. Was interessiert Sie besonders?
Christine Laudenbach: Ich will wissen, wie Frauen und Männer mit Geld umgehen und welche Auswirkungen das auf ihr Vermögen hat. Mich interessiert besonders: Welche Rolle spielt das Selbstvertrauen in die eigene finanzielle Entscheidungsfähigkeit? Wie sehr beeinflusst das, was ich mit meinem Geld überhaupt mache?

Christine Laudenbach ist Verhaltensökonomin und Leiterin der Abteilung "Household Finance" am Leibniz-Institut für Finanzmarktforschung SAFE in Frankfurt am Main. Als Verhaltensökonomin forscht sie zum Thema Finanzentscheidungen von Privathaushalten, zu Finanzbildung und Geschlechts-Stereotypen im Kontext von Finanzen. Sie ist Gründungsmitglied des Arero-Weltfonds, Co-Autorin des Buches "Die genial einfache Vermögensstrategie" (Campus) und wurde von Capital als eine von "40 unter 40" ausgezeichnet. In einer auf fünf Jahre angelegten Arbeit erforscht sie die Ursachen der geringen Beteiligung von Frauen an den Kapitalmärkten.
Beim EMOTION Women’s Day am 8. Mai 2023 tritt Christine Laudenbach als Speakerin auf.
Warum ist das wichtig?
Nehmen wir mal an, es gäbe keine Unterschiede im Einkommen und keine Unterschiede im Vermögen, Frauen und Männer würden mit dem gleichen Kapital starten. Dennoch stünde am Ende ziemlich sicher nicht das gleiche Vermögen. Der entscheidende Faktor ist die Teilnahme an den Kapitalmärkten. Welche Gründe haben Frauen, sich vom Kapitalmarkt fernzuhalten?

Auf einen Blick: Bestandteile des Gender Wealth Gaps
Beim Gender Wealth Gap spielen viele Komponenten eine Rolle:
- Historisch gewachsene Vermögensunterschiede zwischen den Geschlechtern
- Unterschiede, die daraus resultieren, dass Frauen häufiger Teilzeit arbeiten oder dass sie schlechter bezahlt werden, auch wenn sie den gleichen Job machen
- Es gibt auch Hinweise darauf, dass Frauen später erben als Männer.
- Psychologische Faktoren, die dazu führen, dass Frauen und Männer unterschiedlich mit Geld umgehen.
Was wissen wir schon darüber?
Studien zeigen, dass Frauen weltweit einerseits ein geringeres Finanzwissen haben als Männer, sich dieses Wissen andererseits häufig aber auch gar nicht zutrauen und deshalb bei Finanzwissenstests schlechter abschneiden. Ich möchte herausfinden, welche Rolle Selbstvertrauen dabei spielt. Unser Verdacht: In vielen Fällen halten Missverständnisse Frauen ab.
Wie ergründet man Missverständnisse?
Ich schaue mir an, welche psychologischen Faktoren dazu führen, dass eine Person sich nicht mit Finanzen beschäftigt. Es ist ein lösungsorientierter Ansatz, denn wenn ich weiß, welche Faktoren relevant sind, kann ich dort einhaken. Dem gehen wir in qualitativen Interviews mit Männern und Frauen auf den Grund.
In den Interviews klopfen wir verschiedene Punkte ab, die Personen abhalten könnten.
- Liegt es zum Beispiel daran, dass die Person nicht weiß, wie man ein Depot eröffnet?
- Traut sie den Finanzmärkten nicht?
- Hat sie ein negatives Bild von Aktionär:innen? Und woher kommt das?
- Steckt hinter der Börsen-Abneigung Kapitalismuskritik?
- Weiß die Person nicht, wer alles längst am Aktienmarkt investiert und glaubt, die Aktionär:innen seien alle viel reicher als sie selbst?
- Schätzt eine Person das Risiko viel höher ein als es tatsächlich ist und wagt sich deshalb nicht ran?
Konnten Sie schon erste Anhaltspunkte gewinnen?
Ja, zwei Punkte wurden ganz deutlich.
- Männer und Frauen benutzen eine andere Sprache, wenn es um den Kapitalmarkt geht. Bei Männern ist die Sprache viel technischer. Bei Frauen geht es dagegen fast nie um das Thema Rendite. Frauen sprechen eher darüber, wie hoch die Verluste sein könnten, wie viel Zeit sie das kostet und wie viel Wissen sie brauchen.
- Die Befragten verbinden mit Aktieninvestments einen sehr großen Zeitaufwand. Sie denken, man müsste ein riesiges Finanzwissen haben, Bilanzen lesen, sich ständig informieren, täglich ins Depot gucken. Das wirkt natürlich abschreckend. Aber das ist ja bei einem breit gestreuten Investment in ETFs gar nicht der Fall! Die Strategie „Buy and hold“ mit einem kostengünstigen, breit gestreuten Produkt für die Altersvorsorge ist in den Köpfen nicht drin. Da fehlt das institutionelle Wissen.
Du willst mehr erfahren über den Gender Wealth Gap, Ursachen für die geringe Beteiligung von Frauen an den Kapitalmärkten, Wissenslücken und Fehleinschätzungen? Wichtiges Wissen für die finanzielle Unabhängigkeit von Frauen, das Christine Laudenbach zum EMOTION Women’s Day mitbringt. Sie ist am 8. Mai als Speakerin bei unserer Jobkonferenz für Frauen dabei.
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Frauen sagen ja oft, ihnen sei das Thema zu kompliziert.
Genau. Deshalb möchte ich wissen: Wer trifft denn die finanziellen Entscheidungen in einem Haushalt? Durch Gespräche mit Finanzberater:innen bei Banken habe ich den Eindruck gewonnen, dass Frauen bei der Baufinanzierung durchaus stärker mitreden als bei Geldanlage-Entscheidungen. Das ist bislang nur eine Hypothese. Aber wenn dem so wäre, dann dürfte mangelndes mathematisches Verständnis kein Thema sein – was ja häufig angeführt wird. Baufinanzierung ist nämlich weit komplexer als Geldanlage.
Ähnlich erstaunlich verhält es sich mit den Haushaltsausgaben: Hier treffen Frauen die Entscheidungen und kümmern sich um die Einkäufe im Alltag. Auch das ist eine sehr komplexe Angelegenheit. Und dennoch hält sich das Klischee hartnäckig, dass Männer Geldanlage besser können.
"Das Klischee, dass Männer Geldanlage besser können, hält sich hartnäckig."
Finden Sie es nicht frustrierend, dass diese Klischees so stark sind?
Historisch ist es durchaus naheliegend, dass die Person, die das Geld verdient, sich auch um das Geld kümmert. Diese Rollenbilder haben sich über lange Zeit gefestigt und werden immer wieder reproduziert. Nehmen wir die Werbung: Im Finanz-Kontext werden Frauen eher mit kleinen Beträgen und mit einem Glas Prosecco in der Hand gezeigt. Dieser Stereotyp, dass Frauen sich nicht mit Finanzen beschäftigen, ist immer noch sehr stark.
Derzeit gewinnt das Thema zusehends an Aufmerksamkeit und wir können beobachten, dass viele junge Frauen Geld anlegen oder sich zumindest mit dem Thema auseinandersetzen. Aber es ist noch nicht klar, wie nachhaltig das ist. Häufig verschieben sich mit der Geburt des ersten Kindes die Rollen wieder Richtung traditionelle Aufteilung. Es bleibt abzuwarten, ob diese größere Unabhängigkeit der jungen Frauen heute die Geburt des ersten Kindes überdauert.
Wie verändern wir das?
Gesellschaftliche Normen und Stereotype lassen sich nicht von heute auf morgen ändern. Nötig ist eine gesellschaftliche Diskussion über Rollenbilder. Die ist auch für Männer relevant. Das übersehen wir häufig, weil die männliche Rolle nach der besseren Rolle klingt. Aber die finanzielle Hauptverantwortung kann auch sehr belastend sein.
Ich kenne viele Frauen, die Vollzeit arbeiten. Wenn die Männer dann Teilzeit arbeiten wollen, ist das bei vielen Arbeitgeber:innen nicht so akzeptiert und sie erfahren eine ganz schöne Abwertung. Frauen können da eher auf gesellschaftliche Akzeptanz zählen. Das macht es auch schwieriger innerhalb des Haushalts. Selbst wenn beide der Meinung sind, dass es für die Familie besser ist, wenn die Frau Vollzeit arbeitet und der Mann Teilzeit, heißt es noch lange nicht, dass es so umsetzbar ist aufgrund von gesellschaftlichen Konventionen.
Die Kehrseite der Medaille ist, dass Frauen sich eher in die Teilzeit hineingedrängt sehen. Und dass es natürlich insgesamt für Frauen nicht gut ist, wenn sie immer diejenigen sind, die Teilzeit arbeiten.
Fazit: Was Christine Laudenbachs Forschung uns zeigt
Dass eine Vermögenslücke zwischen Männern und Frauen klafft, hat unterschiedliche Ursachen. Christine Laudenbachs Forschung wirft ein Schlaglicht auf die psychologischen Faktoren und gelernte Verhaltensweisen. Der Gender Wealth Gap wird ganz klar von gesellschaftlichen Konventionen gestützt. Wenn Klischees und Stereotype ins Wanken geraten, dürften sich langfristig auch die Vermögensverhältnisse ändern. Wenn traditionelle Rollenbilder bröckeln kann auch das Selbstvertrauen von Frauen wachsen – und damit ihr Vermögen.
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