Nein, du bist keine Banausin, wenn du nicht gleich weißt, wer Abbas Khider ist. Wir sind Fans, seit uns der deutsch-irakische Schriftsteller mit seinem Roman "Ohrfeige" begeistert hat. Ebenso viel Provokation und Witz zeigt er beim Kampf für einfache Sprache.
Deutsch zu lernen hat sich für den Autor Abbas Khider wie eine Himalajabesteigung angefühlt. Er hat deutsche Wörter dekliniert, konjugiert und unregelmäßige Verben gepaukt – und danach Germanistik und Philosophie in München studiert. Er hat bestanden und dann vier Romane geschrieben: auf Deutsch. Khider, der als Teenager unter dem Regime Saddam Husseins mehrfach verhaftet worden war, erhielt nach seiner Flucht im Jahr 2000 Asyl in Deutschland. Inzwischen lebt er hier bald so lang wie im Irak und hat jetzt das ultimative Sprachlehrbuch geschrieben: "Deutsch für alle". Er hat einen verrückten Traum: Er will die komplizierte Grammatik unserer Sprache vereinfachen. Wer jemals mühsam mit Artikeln, Fällen und anderen Fallen einer neuen Sprache gekämpft hat, wird bestimmt sein Fan. Ein Gespräch über Sprache, Flucht und Heimat.
Bärbel Schäfer: Der Philosoph Karl Jaspers sagt: "Heimat ist da, wo ich verstehe und verstanden werde." Hat er recht?
Abbas Khider: Heimat ist ein Sehnsuchtsort. Jeder, der weggeht, vermisst Traditionen, Menschen und Orte. Ich habe meine Heimat mit 23 Jahren verlassen. Als Kind habe ich den Iran-Krieg erlebt, als Jugendlicher den Kuwait-Krieg und den Aufstand im Jahr 1991. Ich kenne die Angst um Angehörige, ich kenne Knast in einer Diktatur, Folter und Hunger. Von den irakischen Soldaten und Polizisten wurde ich behandelt, als wäre ich kein Mensch. 1996 dann die Flucht. Reden wir also über Heimat oder reden wir über Albträume?
Gibt es überhaupt positive Assoziationen zum Begriff "Heimat" für dich?
Heimat ist Gemeinschaft. Ein Zugehörigkeitsgefühl, Erfahrung und Erinnerung. Und für mich ist Heimat rückwärtsgewandte Geschichte.
Du hast die deutsche Sprache seziert, und daraus ist dein Lehrbuch entstanden. Bist du ein guter Lehrer, Abbas?
(Lacht) Überhaupt nicht. Ich bin ein sehr, sehr schlechter Lehrer.
Warum?
Ich bin Geschichtenerzähler, kein Sprachwissenschaftler.
Vermittler zwischen den Kulturen
Abbas Khider erhielt für seine Romane zahlreiche Auszeichnungen, zuletzt den Nelly-Sachs-Preis. Vergangenes Jahr war er Schirmherr der Hamburger Tage des Exils und erzählte über die Ambivalenz von Zugehörigkeitsgefühlen und das Bedürfnis nach Schutzmauern.
Khider geht mit "Deutsch für alle" (Hanser, 14 Euro) auf Lesereise. Alle Termine findest du hier.
Du bist ein Wortfreak, ein Wortpolizist, hast dich wie mit einem Skalpell der deutschen Grammatik genähert. Warum eigentlich?
Als Neuankömmling in diesem Land bin ich "linguistisch traumatisiert". Deutsch zu erlernen ist, als müsstest du eine Wüste ohne Wasser durchqueren.
Du schreibst, schon mehrere Silben vor einem Ä, Ö oder Ü werde deine Zunge unruhig und deine Lippen trocken ...
Ja. Schaffen wir endlich die Umlaute ab, bitte! Deutsch ohne Umlaute wäre für mich ein Traum. Noch heute versuche ich Worte mit Ä, Ö oder Ü zu vermeiden. Statt "schön" benutze ich das Synonym "wunderbar". Wenn ich "München" oder "Mönch" schnell ausspreche, dann wirst du bei mir den Unterschied zwischen Ü und Ö nur schwer hören.
Das Ü würde natürlich sehr traurig sein, wenn du es abschaffst!
(Lacht) Ja, Dürüm Döner gäbe es dann bald nicht mehr.
Was müsste noch weg?
Das Verb im Nebensatz. Darum müssen wir uns kümmern. Das Verb am Ende eines Satzes ist doch immer öde. Für euch Einheimische ist das normal, für alle Deutschschüler eine Qual. Und die Artikel – davon würde ich mich auch sofort trennen können.
Weg mit den Artikeln? Und was verwenden wir stattdessen?
Aus "der", "die", "das" wird einfach "de": de Vater, de Mutter, de Kind.
Wie im Englischen "the" für alle Geschlechter und alle Fälle?
Genau. Denn mit dem "de" verabschieden wir uns auch von der Deklination. Deklinieren ist die Hölle.
Warum hast du nie aufgegeben?
Ich habe den irakischen Knast überlebt. Mein Leben ist also ein Geschenk.
Das heißt, Worte können dich also schon mal gar nicht kleinkriegen?
Nein. Und dass ich jetzt eine Sprachreform fordere, ist vielleicht naiv, aber lasst mich euch zurufen: Vereinfacht das Deutsch! Macht es für Menschen mit Fluchterfahrung, macht es für die, die hier beruflich Fuß fassen wollen. Für uns alle, die diesem Deutschland etwas geben wollen. Helft uns! Kommt uns entgegen.
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