Misogynie als Geschäftsmodell: Wie Andrew Tate Frauenhass auf TikTok schürt
10.08.2022
Anna Dunst
Mit frauenverachtenden und homophoben Inhalten in den sozialen Medien kann man offenbar gutes Geld verdienen – für den Ex-Kickboxer Andrew Tate wurde zur Schau gestellter Frauenhass auf TikTok zum lukrativen Geschäftsmodell. Wie kann das sein?
Content Note: Dieser Text behandelt sexuelle Gewalt und frauenfeindliche Inhalte.
Emory Andrew Tate III, genannt Andrew Tate, ist 35 Jahre alt und ehemaliger Kickboxer. In den USA ist er für viele junge Männer so etwas wie ein Messias – nicht wegen seiner früheren Kickboxkarriere, sondern weil Tate es sich offenbar zur Aufgabe gemacht hat, ihnen zu erklären, wie man seiner Ansicht nach mit Frauen umgehen sollte. Tate verbreitet aber keine harmlosen Datingtipps, sondern blanken Frauenhass. "Eine Frau ist immer Eigentum ihres Mannes", sagt er beispielsweise, ruft sogar zu Vergewaltigungen auf. In einem seiner Videos gibt er an, dass er bei keinem anderen Mann in einer Notsituation erste Hilfe leisten würde, weil er nicht schwul sei.
Es ist verstörend, wie erfolgreich Tate mit seiner misogynen Propaganda ist
Neu ist dieses Phänomen nicht – die Autorin und Bloggerin Tara Louise Wittwer dokumentiert derartig toxische Weltbilder, die in sozialen Medien geteilt werden, schon länger auf ihren Social-Media-Plattformen. "(...) Frauen kann man nur einmal benutzen", sagen Männer dort beispielsweise. Wittwer reagiert in eigenen Videos darauf, macht sich über das Gesagte lustig und will so Aufmerksamkeit auf die Misogynie lenken, die im Netz so verbreitet ist. Besonders verstörend und beunruhigend ist aber, welche Erfolgsdimensionen Tate mit seinen frauenverachtenden Äußerungen mittlerweile erreicht hat. Seine Videos werden teils milliardenfach geklickt. Der Ex-Kickboxer wird mittlerweile öfter gegoogelt als Donald Trump und Kim Kardashian.
Besonders problematisch: Dank des TikTok-Algorithmus werden zahlreichen User:innen Tates Videos ausgespielt, obwohl sie seinem Account nicht folgen. Fast 30 Prozent der weltweiten TikTok-Nutzer:innen sind laut Statistiken minderjährig. Wie viel Einfluss Social Media auf die Meinungsbildung junger Menschen hat, muss man heutzutage nicht mehr großartig erläutern. Dass es mehr als problematisch ist, dass sich so viele die teils brutalen Videos von Andrew Tate ansehen, ebenfalls nicht. "Solche Inhalte in jungen Jahren zu konsumieren kann sehr wohl die Einstellung eines Kindes stark verändern, was etwa in mehr Gewalt gegen Frauen und Mädchen münden kann – sowohl im realen Leben als auch online", erklärt Hannah Ruschen von der britischen Wohltätigkeitsorganisation NSPCC im Guardian.
Ermittlungen wegen des Verdachts auf Menschenhandel und Vergewaltigung
Bei Tate selbst scheint das bereits der Fall gewesen zu sein. Aktuell laufen Ermittlungen wegen des Verdachts auf Menschenhandel und Vergewaltigung gegen ihn. Mittlerweile lebt Tate in Rumänien. In einem Youtube-Video, das mittlerweile wieder gelöscht ist, gab er an, dass die Tatsache, dass Vergewaltigungsvorwürfe in Osteuropa nicht so intensiv verfolgt würden wie anderswo, seine Entscheidung für den Umzug begünstigt habe. "Ich bin kein Vergewaltiger", sagt er dort außerdem, "ich mag bloß die Idee, dass ich tun und lassen kann, was ich möchte. Ich mag es, frei zu sein". Gleichzeitig sagte er im Zuge der #MeToo-Debatte über Opfer sexueller Gewalt: "Wenn du dich selbst in die Lage bringst, vergewaltigt zu werden, musst du die Verantwortung dafür übernehmen"
Wie kann es sein, dass junge Männer sich diese diskriminierenden, verhöhnenden und teils sogar gewaltverherrlichenden Inhalte freiwillig ansehen? Eine Antwort darauf ist nur schwer zu finden, aber ein Blick in die Incel-Szene gibt zumindest einige Anhaltspunkte. "Incels", also Männer, die unfreiwillig keinen Sex haben, richten ihre Frustration und ihren daraus entstehenden Hass an Frauen – weil diese nicht an ihnen interessiert sind. Diesem Verhalten liegt der grundsätzlich falsche und degradierende Gedanke zugrunde, dass Männer eine Art biologisches Grundrecht auf Sex mit Frauen hätten.
In den vergangenen Tagen hat sich eine große Anzahl an Instagram- und TikTok-User:innen gegen die frauenfeindlichen und homophoben Äußerungen von Tate positioniert und ihn stark kritisiert. Auslöser war ein Instagram-Post des Make-Up Artists und Aktivisten Matt Bernstein. Bernstein kritisierte in Zuge dessen auch Instagram und TikTok und prangerte an, dass die diskriminierenden Inhalte immer noch frei verfügbar seien. Dass Social-Media-Plattformen ihrer Pflicht, Hate Speech und gefährliche Inhalte zu löschen, entweder gar nicht oder viel zu langsam nachkommen, wird schon lange moniert. Solange Geld und Algorithmen für Konzerne wie Meta oder TikTok einen höheren Stellenwert haben als die Würde Einzelner oder eines ganzen Geschlechts, wird sich daran auch nichts ändern. Es bleibt also an den User:innen, zu protestieren – zumindest vorerst.
Anmerkung der Redaktion: Mehr als eine Woche nach Erscheinen dieses Artikels und zahlreichen Vorwürfen seitens User:innen hat der Meta-Konzern Tates Accounts auf Instagram und Facebook gesperrt.