Kann man Facelift & Co. mit einer feministischen Grundhaltung vereinbaren? Zwei EMOTION-Redakteurinnen, zwei Meinungen.

Lasst uns Schönheits-OPs nicht als antifeministisch verteufeln!
Schönheits-OPs sind der Auswuchs einer Gesellschaft, in der bestimmte Idealbilder unsere Vorstellung von „Schönheit“ bestimmen. Große Augen, schmale Nasen, volle Lippen – jede:r, der/die nicht von Geburt an mit diesen vermeintlichen Schönheitsmerkmalen „gesegnet“ ist, sieht sich früher oder später im Leben mit dieser Tatsache konfrontiert. Idealbilder sind toxisch und problematisch, das steht außer Frage – denn sie geben Menschen (häufig Frauen) das Gefühl, nicht gut genug zu sein. Aber es wäre fatal, Frauen, die sich aus diesen Selbstzweifeln heraus für eine OP entscheiden, Antifeminismus vorzuwerfen. Dies soll keine Verherrlichung oder Verteidigung von Schönheits-OPs und Selbstoptimierungszwängen sein. Sondern ein Plädoyer für mehr Toleranz im Feminismus – und zwar in beide Richtungen.
Wir alle sind in unserem Denken von patriarchalen Strukturen geprägt. Wir alle sind mit denselben gesellschaftlich produzierten Schönheitsidealen groß geworden und wir alle werden täglich in den (sozialen) Medien damit konfrontiert, wie Frauen gefälligst auszusehen haben. Es ist schwer, sich von solchen Idealen zu befreien. Denn sie sind tief verwurzelt. So tief, dass es seelisches Leid mit sich tragen kann, wenn man ihnen nicht entspricht. Menschen, die objektiv gesehen „schön“ sind, werden nachweislich weniger gemobbt und haben bessere Chancen im Job. Wer sich in diesem Wissen trotzdem aktiv gegen eine OP entscheidet, setzt ein starkes Zeichen – aber trifft unter Umständen auch gleichzeitig eine Entscheidung für persönliches Unglück.
Und so kann der Perfektionsdruck, der sich hinter Schönheits-OPs verbirgt, auch ganz schnell in eine andere Richtung schlagen: Nämlich wenn Frauen sich gegen einen Eingriff entscheiden, weil sie den Feminismus nicht „verraten“ wollen. Weil sie sich vor Kritik fürchten, die dann vor allem aus feministischen Kreisen kommt, in denen Body Positivity und radikale Selbstliebe propagiert wird. Sie den Zwang fühlen, dass ihre Falten und ihre große Nasen ihnen egal sein müssten. Aber wie egal kann einem etwas wirklich sein, das seit der Kindheit eingetrichtert wurde? Kaum jemand ist wohl gänzlich von patriarchalen Gedankenmustern befreit.
Wenn Frauen sich durch einen operativen Eingriff bestärkter und selbstbewusster fühlen, dann sei ihnen das gegönnt. Das macht sie nicht zu schlechten Feministinnen und nimmt ihnen auch nicht das Recht, sich für feministische Anliegen stark zu machen. Lasst uns Frauen nicht noch für Entscheidungen über ihren eigenen Körper shamen. Schönheit muss bedeuten, dass wir uns selbst gefallen und nicht anderen. Ganz egal, ob man bei diesem Schönheitsbegriff auf Natürlichkeit setzt oder eben (noch) auf gespritzte Lippen.

Was ist feministisch daran, sich an Schönheitsideale anzugleichen?
Frauen dafür anzufeinden, dass sie sich dem ständig wachsenden Druck unserer Gesellschaft, dem aktuellen Schönheitsideal zu entsprechen, beugen und sich einer Schönheitsoperation unterziehen, ist ohne Zweifel unfeministisch. Aber dass man es deshalb gut finden muss, dass laut Hochrechnungen allein im Jahr 2021 in Deutschland mehr als 476.000 Schönheitsoperationen stattfanden – das heißt es eben auch nicht. Es geht ja längst nicht mehr um Einzelfälle, um Menschen, die auf plastische Chirurgie zurückgreifen, weil sie sich durch einen vermeintlichen Makel schon ihr ganzes Leben lang unwohl fühlen. Jemandem dafür Vorwürfe zu machen gehört sich einfach nicht. Das ist keine Frage des Feminismus, sondern des Anstands. Aber es ist eine kollektive Entwicklung, befeuert durch soziale Medien, auf denen man sein Gesicht mittels Filter bis zur Unkenntlichkeit ‘optimieren’ kann. Und diese Entwicklung sollten wir hinterfragen. Denn wir alle sind daran schuld, dass besonders junge Frauen alles dafür tun würden, um ihrem Idealbild zu entsprechen – angefangen bei Botox oder Lipfillern bis hin zum Abschleifen gesunder Zähne für ein zumindest optisch makelloses Gebiss.
Dass es unter dem Deckmantel des modernen Feminismus gutgeheißen oder als Empowerment gefeiert wird, wenn das geschieht, kann ich nicht nachvollziehen. Wen wollt ihr damit denn täuschen? Ehrlich wäre es, zu sagen: “Der Druck, perfekt auszusehen, ist für mich so hoch, dass ich meine Brüste vergrößern habe lassen”. Natürlich sagt das niemand. Dafür aber “Ich fühle mich so einfach viel wohler”. Warum wir alle das Gefühl haben, uns mit schmaleren Nasen, glatterer Haut und größeren Hintern viel wohler in unserer Haut zu fühlen, wird viel zu selten hinterfragt. Stattdessen normalisieren wir weiterhin unnötige Eingriffe, die nur vorgenommen werden, um gesunde Menschen einem Ideal anzugleichen, das mehr oder weniger willkürlich gewählt wurde und in ein paar Jahren bereits wieder als unattraktiv gelten wird. Wer soll dadurch denn glücklich(er) werden?
Und inwiefern ist es feministisch, wenn wir – anstatt dagegen anzukämpfen, dass uns im Jahr 2023 immer noch derartige Schönheitsideale auferlegt werden – versuchen, jedem Anspruch, der an unser Aussehen gestellt wird, sofort Folge zu leisten? Im Endeffekt ist es genau das, was mich an der Argumentation, dass Schönheitseingriffe schließlich auch feministisch sein könnten, stört – denn im seltensten Fall passen sich Menschen mit den Operationen ihrem eigenen Geschmack an, sondern einfach nur dem aktuellen Idealbild. Immer das zu tun, was von einem erwartet wird, ist doch kein Ausdruck von Selbstbestimmung. Und sich der gesamtgesellschaftlichen Verantwortung, zu hinterfragen, warum sich jedes Jahr mehr Menschen unters Messer legen, zu entziehen, ist kein Feminismus, sondern einfach nur schrecklich bequem.
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