Mentale Gesundheit im Job: Wie können wir darüber sprechen?
31.03.2022
Anna Dunst
Dr. Eva Elisa Schneider hat mit uns darüber gesprochen, wie wir mentale Gesundheit im beruflichen Kontext thematisieren können und warum beide Seiten viel davon haben.
Mental Health muss ein Thema sein – auch im Job
Dr. Eva Elisa Schneider ist Psychologin und approbierte Psychotherapeutin. Weil mentale Gesundheit im beruflichen Kontext so wichtig ist, aber immer noch nicht in allen Unternehmen thematisiert wird, setzt sie sich genau dafür ein. Sie ist Führungskraft in einem Mental-Health-Unternehmen und berät selbstständig Unternehmen und Organisationen, die mentale Gesundheit in ihrer Arbeitskultur verankern wollen. Sie schöpft aus ihrem großen Erfahrungs- und Wissensschatz als Psychotherapeutin und Dozentin für Psychologie und Psychotherapie und arbeitet mit Methoden aus der Verhaltenstherapie, systemischem Coaching und Design Thinking.
EMOTION:Müssen Sie noch viel Überzeugungsarbeit leisten, dass Mental Health auch für Unternehmen wichtig ist?
Dr. Eva Elisa Schneider: Die meisten, die sich bei mir melden, haben in ihrem Unternehmen einen gewissen Bedarf und sehen bereits, dass es ein wichtiges Thema ist. Ich vergleiche das ganz gerne mit Nachhaltigkeit, denn das Thema an sich gibt es – wie psychische Gesundheit – schon immer. Das ist nichts, was wir uns plötzlich ausgedacht haben. Aber mittlerweile verstehen immer mehr Menschen, was für eine Relevanz es hat. Viele wissen, dass das vorteilhaft für sie und ihre Mitarbeiter:innen ist. Sie brauchen nur Support bei der Umsetzung. Und da komme ich ins Spiel.
Welche Vorteile hat es für Unternehmen, wenn sie mentale Gesundheit zur Priorität machen?
Erstmal geht es ihren Mitarbeiter:innen dadurch besser. Es hat aber auch Vorteile für das Unternehmen: die Produktivität der Angestellten wird gesteigert, Krankenstände minimieren sich, die Fluktuation wird eingedämmt. Und da sprechen wir noch nicht einmal über die Effekte für das Employer Branding – denn das bringt natürlich auch eine gewisse Talent Attraction mit sich. Das ist sehr relevant, vor allem, wenn man sich den Fachkräftemangel anschaut.
Inwiefern steigert offener Umgang die Produktivität?
Es gibt immer Personen, die an psychischen Erkrankungen leiden. Die Statistik spricht für sich, kein Unternehmen kann also behaupten, dass es das bei ihnen nicht gäbe. Wenn Mitarbeiter:innen wissen, dass sie offen darüber sprechen können, weil ihr Unternehmen die mentale Gesundheit und auch den Austausch darüber proaktiv fördert, müssen sie keine Energien mehr aufwenden, um den Zustand ihrer mentalen Gesundheit zu verstecken. Das wiederum kann das Wohlbefinden stärken und sich positiv auf die Arbeitsleistung auswirken. Abgesehen davon bekommt das Unternehmen auch viel bessere Informationen über verdeckte Stressquellen, denen es dann besser vorbeugen kann.
Uns wird signalisiert, dass ein Teil unserer Gesundheit nicht gezeigt werden darf
In vielen Unternehmen spricht man über mentale Gesundheit nur hinter vorgehaltener Hand. Oder sie ist lediglich der Gegenstand eines Bürotratsches. Was macht das mit den Mitarbeiter:innen?
Am Ende läuft das immer auf eine Kultur der Angst hinaus. Uns wird signalisiert, dass ein Teil unserer Gesundheit nicht gezeigt und thematisiert werden darf. Wenn man dann dauerhaft Angst hat und sich verstecken muss – entweder weil man selbst betroffen ist oder es einem aus anderen Gründen nicht gut geht – ist das massiver Stress. Ich habe das Gefühl, durch die Pandemie hat sich die Offenheit etwas verbessert, denn wir alle waren einem kollektiven Stress ausgesetzt und endlich wurde vermehrt darüber gesprochen. Dabei war es auch vor der Pandemie so, dass wir nicht jeden Tag mit der gleichen Verfassung zur Arbeit gekommen sind. Niemand hat vorher darüber gesprochen, dabei verändert es vieles, wenn wir darüber ins Gespräch kommen. Dadurch wird ein erster Hebel in Bewegung gesetzt.
Wie können Arbeitgeber:innen ihre Angestellten neben einer offenen Gesprächskultur bezüglich ihrer mentalen Gesundheit unterstützen?
Wenn ich ein Unternehmen diesbezüglich berate, muss ich natürlich immer einerseits in strukturellen, andererseits in individuellen Faktoren denken. Strukturell ist es hilfreich, Angebote zu schaffen, damit Mitarbeiter:innen – auch präventiv – an ihrer mentalen Gesundheit arbeiten können. Langfristig kann man da vielem vorbeugen, frühzeitige Unterstützung ist also sehr wichtig. Gleichzeitig versuche ich, Personen und Teams mit Wissen auszustatten. Denn es gibt immer noch viele Fehlannahmen über psychische Erkrankungen und mentale Belastungen. Dass man an einer psychischen Erkrankung leidet, heißt zum Beispiel nicht immer, dass sie chronisch ist oder dass der oder die Betroffene für immer nur die halbe Arbeitsleistung erbringen kann. Deshalb leiste ich Aufklärungsarbeit, das ist auch essentiell für die Entstigmatisierung. Der nächste Schritt ist, darüber aufzuklären, wie man über psychische Erkrankungen sprechen kann – sowohl von Arbeitgeber:innenseite, als auch von Arbeitnehmer:innenseite.
Wie kann man, wenn man eine psychische Erkrankung hat, darüber am besten mit den Vorgesetzten sprechen?
Wichtig ist, dass man sich vorher ins Gedächtnis ruft, dass man nicht darüber sprechen muss – man hat immer die Wahl und ist nicht dazu verpflichtet. Vorher sollte man sich außerdem überlegen, wie viel man tatsächlich preisgeben möchte. Möchte ich lediglich mitteilen, dass ich an einer psychischen Erkrankung leide oder tatsächlich sagen, welche das ist? Ich würde außerdem immer dazu raten, vorher mit einer Person aus dem kollegialen Umfeld zu sprechen, der man vertraut. Wenn das Verhältnis gut genug ist, kann man die Person auch bitten, zum Gespräch mitzukommen. Im Gespräch selbst sollte man klarmachen, was das eigene Ziel ist – zum Beispiel, den wöchentlichen Therapiethermin und die Arbeitsverpflichtungen unter einen Hut zu bekommen. Zusammen kann man dann besprechen, wie sich das auf die Arbeit auswirken könnte und was man da tun kann.
Letztlich wünsche ich mir, dass es Personen wie mich gar nicht mehr braucht
Und aus der umgekehrten Sicht: Wie reagiert ein:e Vorgesetzte:r in einem solchen Gespräch im Idealfall?
Respektvoll und offen. Man sollte sich bedanken, dass die Person so offen ist, das ist nämlich weder verpflichtend, noch selbstverständlich. Dann sollte man gemeinsam eine Lösung erarbeiten und besprechen, an welchen Stellschrauben man drehen kann. Und eines sei gesagt: Es gibt immer Stellschrauben. Vorgesetzte sollten außerdem beachten, dass ihr:e Mitarbeiter:in in diesem Gespräch womöglich aufgeregt ist und anbieten, dass man auch zu einem anderen Zeitpunkt über weitere Details sprechen kann. Die Person, die sich einem anvertraut, muss immer das Gefühl haben, sicher zu sein und die Kontrolle über die eigene Situation zu haben. Es muss klar sein, dass mit diesen Informationen respektvoll umgegangen wird und dass niemand anderes davon erfährt. Diese Angelegenheit muss den Respekt und die Vertraulichkeit bekommen, die sie verdient.
Wie kann ich als Kollegin damit umgehen, wenn eine:r meiner Kolleg:innen eine psychische Erkrankung hat?
Wenn man das von der betroffenen Person selbst erfahren hat, sollte man sich auch an dieser Stelle für das Vertrauen bedanken und die Information respektvoll behandeln und für sich behalten. Es gibt auch Situationen, in denen Mitarbeiter:innen für längere Zeit abwesend sind, zum Beispiel, weil sie eine Auszeit brauchen. Wenn die Person dann wieder zurück ist, ist es wichtig, zu fragen, wie es ihr geht. Das mache ich ja auch mit Kolleg:innen, die sich das Bein gebrochen haben. Warum sollten andere Gesprächsregeln gelten, weil die Person aufgrund psychischer Erkrankungen gefehlt hat? Man sollte die Angelegenheit auf keinen Fall totschweigen. Für Betroffene kann es auch hilfreich sein, wenn man ihnen eine Mail oder Nachricht schreibt und fragt, wie es ihnen geht – denn so haben sie die Möglichkeit, nicht gleich reagieren zu müssen und sich erst zu überlegen, wie viel sie teilen möchten.
Eine etwas utopische Frage: Was ist Ihre ideale Vorstellung davon, wie wir im beruflichen Kontext mit mentaler Gesundheit umgehen?
Ich wünsche mir, dass das Thema ganz normal behandelt wird – dass man in der Kaffeeküche auf selbstverständliche Art und Weise darüber sprechen kann, dass man gestern in der Psychotherapie eine besondere Erkenntnis hatte, so wie man erzählt, was man am Wochenende gemacht hat. Letztlich wünsche ich mir, dass es Personen wie mich gar nicht mehr braucht, weil alle mit dem richtigen Wissen ausgestattet sind und sich sicher dabei fühlen, über die psychische Gesundheit genauso zu sprechen wie über die körperliche.