Zählen Jahre der Berufserfahrung, wenn man sie "nur" in Teilzeit absolviert hat? Die Frage ist aktuell in einer Debatte um den Lebenslauf der neuen IT-Referentin der Stadt München entbrannt.
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Dr. Laura Sophie Dornheim ist Managerin in einem Tech-Start-Up, Mutter und Mitglied bei den Grünen, wo sie seit 2018 Sprecherin der LAG Digitales und Netzpolitik in Berlin ist. Bald wird sie aller Voraussicht nach außerdem Münchens IT-Referentin sein. Die Wahl gilt ihr als sicher, denn die Grünen haben das Vorschlagsrecht für die Stelle. Wenn es nach der BILD-Zeitung geht, hat Dornheim den Posten aber gar nicht rechtmäßig verdient – das Blatt wirft ihr vor, sie hätte ihren Lebenslauf "aufgehübscht". Aus dem geht nämlich hervor, dass Laura Sophie Dornheim von 2008 bis 2014 als Unternehmensberaterin tätig war – aber nicht, dass sie drei dieser sechs Jahre in Teilzeit gearbeitet hat. Nach eigenen Angaben schrieb sie in dieser Zeit ihre Dissertation. Und sagt jetzt: "Ich habe nirgends auch nur ansatzweise nicht 100% korrekte Angaben gemacht".
Es sagt nichts über die Qualität, Leistung oder Erfahrung eines Arbeitnehmers aus, ob er 20 oder 40 Wochenstunden arbeitet
Miruna Xenocrat, Fachanwältin für ArbeitsrechtTweet
Der ein oder andere dürfte an dieser Stelle geistig den eigenen Lebenslauf durchgehen: Was hat man wie angegeben? Wie sieht das rechtlich aus? Ist man verpflichtet, Teilzeit in seinem Lebenslauf anzugeben?
Nein, sagt Miruna Xenocrat ganz klar. Sie ist Fachanwältin für Arbeitsrecht beim ArbeitnehmerHilfe e.V., einer Organisation, die Arbeitnehmer:innen bei der Durchsetzung ihrer Rechte im Arbeitsleben berät. "Es ist weder unwahr noch beschönigend, wenn die Arbeitszeit an sich nicht explizit im Lebenslauf erwähnt wird. Außerdem: Nach §4 des TzBfG (Anm.: des Teilzeit- und Befristungsgesetzes) dürfen Mitarbeiter in Teilzeit nicht gegenüber denen, die Vollzeit beschäftigt sind, benachteiligt werden. Es sagt auch nichts über die Qualität, Leistung oder Erfahrung eines Arbeitnehmers aus, ob er 20 oder 40 Wochenstunden arbeitet".

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Die Debatte verrät einiges über unsere Arbeitswelt
Und damit sind wir beim Thema. Denn natürlich geht es in der Debatte um Laura Sophie Dornheim nicht um eine Rechenaufgabe, sondern um die Bewertung von Arbeit. Der Fall schlägt Wellen, die Reaktionen sind durchaus unterschiedlich.
Teresa Bücker, Journalistin und Bloggerin, vertritt einen klaren Standpunkt. Wer Teilzeit nicht als vollwertige Arbeitserfahrung bewerte, habe "die Arbeitswelt nicht verstanden", twittert sie. Der Karrierecoach Dr. Bernd Slaghuis schreibt auf XING: "Der Wert von Berufserfahrung ist nicht die Zeit, die wir in einem Job verbringen, sondern was wir dort alles erfahren, gelernt und geleistet haben". Die CSU-Stadträtin Sabine Bär wiederum sieht laut BILD in der fehlenden Erwähnung der Teilzeit eine Beschönigung des Lebenslaufs und bezeichnet es als absolutes No-Go: "Wer so etwas nötig hat, hält sich selbst wohl nicht für ausreichend qualifiziert".
Doch ganz gleich, wie man dazu steht, dass Dornheim die Teilzeitstelle in ihrem Lebenslauf nicht explizit erwähnt hat: So oder so gibt die Debatte einen tiefen Einblick in den deutschen Arbeitsmarkt. Und zeigt wieder einmal, wie gestrig dieser sein kann. Denn eigentlich müsste man doch – zumindest in einer modernen Arbeitswelt, die mehr Vielfalt zulässt als die klassische 40-Stunden-Woche im Office – jede:n Bewerber:in individuell betrachten, anstatt bloß stumpf deren bisher geleistete Arbeitsstunden gegenüberzustellen.
Die (Arbeits-)Welt ist eben nicht schwarz-weiß und nicht immer sind mehr Stunden mit mehr Effizienz gleichzusetzen – das dürfte sich in Zeiten von Rekord-Burnoutzahlen doch wohl herumgesprochen haben.
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