Frauen in Deutschland leisten im Vergleich zu Männern deutlich mehr unbezahlte Sorgearbeit. Dass sich das ändern muss, darüber sind sich Autorin Ann-Kristin Tlusty, Katharina Fegebank (Hamburgs Senatorin für Gleichstellung) und Prof. Dr. Heide Pfarr (pensionierte Professorin für Arbeits- und Wirtschaftsrecht) einig. Am 111. Internationalen Frauentag haben sie darüber diskutiert, wie wir das Thema Sorge in unserer Gesellschaft neu und gleichberechtigter denken können.
Der 111. Frauentag stand in diesem Jahr unter ganz dramatischen Vorzeichen: Denn während in der Ukraine der Krieg tobt, fällt es schwer, überhaupt über andere gesellschaftliche Anliegen zu sprechen. Und trotzdem sollte es beim Senatsempfang im Hamburger Rathaus vorrangig um ein feministisches Anliegen gehen, das man (besonders) an einem Tag wie dem 8. März nicht ignorieren darf: Die Frage nach der Gleichverteilung von Sorgearbeit in Deutschland. Unsere Kollegin und Working Women Chefredakteurin Julia Möhn hat daher zu diesem Anlass mit Ann-Kristin Tlusty, Katharina Fegebank und Heide Pfarr über genau dieses Thema gesprochen.
Ein Großteil der unbezahlten Sorgearbeit liegt bei Frauen
"Im Vergleich zu Männern bringen Frauen in Deutschland 52,4 Prozent mehr Zeit für unbezahlte Sorgearbeit auf. Genau genommen sind das durchschnittlich 4 Stunden und 13 Minuten täglich. Bei Männern sind es durchschnittlich 2 Stunden und 46 Minuten", machte Autorin und Journalistin Ann-Kristin Tlusty deutlich. Das sind Zahlen, die für sich sprechen. Denn dass unbezahlte Sorgearbeit immer noch zu so großen Anteilen von Frauen verrichtet wird, zeigt auf verschiedensten Ebenen, dass Gleichberechtigung noch längst nicht erreicht ist.
Solange Frauen mehr Sorge leisten und solange Sorge weniger wert ist als andere Arbeit, werden wir nicht in einer geschlechtergerechten Welt leben können
Ann-Kristin Tlusty, Journalistin und AutorinTweet
Frauen erleben große Benachteiligung durch schlecht oder unbezahlte Mehrarbeit in Form von Fürsorge: "Dass Frauen beständig mehr Sorge leisten, führt dazu, dass sie weniger Zeit sowie mehr Stress und Belastung haben und dass sie weniger verdienen. Sei es, weil sie öfter in Teilzeit oder in weiblich konnotierten Berufen arbeiten, die grundsätzlich schlechter entlohnt sind", prangerte Tlusty an. Doch nicht nur das: Die Sorgearbeit bringt Frauen auch später im Alter in prekäre Situationen – weil sie weniger verdient haben oder weil sie Pausen ihrer Erwerbstätigkeit für die Kindererziehung eingelegt haben. Das zeigt: Ohne einen Blick auf das Problem der ungerecht verteilten Sorgearbeit lässt sich kaum über Gleichberechtigung diskutieren. Tlusty bezeichnete sie sogar als "entscheidende Stellschraube für die patriarchale Benachteiligung von Frauen". Solange Frauen sowohl beruflich als auch privat mehr Sorge leisten würden und solange Sorge weniger wert sei als andere Arbeit, würden wir nicht in einer geschlechtergerechten Welt leben können.
Fakten zur Sorgearbeit in Deutschland
- Sorgearbeit ist der größte Arbeitssektor überhaupt: Zählt man die Summe der bezahlten und unbezahlten Sorgetätigkeiten in Deutschland zusammen, dann stellen sie der Sozialwissenschaftlerin Gabriele Winker zufolge Zwei Drittel aller geleisteten Arbeitsstunden dar.
- 80 Prozent aller beruflich Fürsorge leistenden Beschäftigten sind weiblich.
- Frauen leisten am Tag im Schnitt 87 Minuten mehr Sorgearbeit als Männer.
Wie können wir Sorgearbeit aufwerten?
Dass Sorgearbeit so ein schlechtes Image hat und weniger Wertschätzung erfährt als die Erwerbstätigkeit, liegt laut Tlusty daran, dass sie hauptsächlich von Frauen geleistet wird – und Branchen, in denen mehr Frauen als Männer arbeiten, grundsätzlich weniger Anerkennung erfahren würden. Ein weiteres Problem stelle dar, dass es zwar einigen privilegierten Frauen mittlerweile gelingen würde, sich aus der schlecht bezahlten Sorgearbeit heraus zu emanzipieren, die Arbeit dadurch aber nur abgewälzt wird auf andere Frauen: "Sorgearbeit wird gegenwärtig nicht zwischen Geschlechtern, sondern zwischen Frauen umverteilt. Während diejenigen, die es sich leisten können (durch Babysitting, Restaurantbesuche, Lieferdienste oder Reinigungskräfte) sich von der Sorgearbeit freikaufen können, bleiben eben jene Sorgetätigkeiten an anderen Frauen hängen."
Und so stand an diesem Abend die zentrale Frage im Raum: Wie kann eine Gesellschaft aussehen, die die Sorgearbeit nicht auf einen Teil der Bevölkerung abwälzt, sondern sie als das Herzstück des Zusammenlebens erklärt?
Tlusty hat davon bereits klare Vorstellungen: Es brauche eine soziale Infrastruktur, die eine unkomplizierte, nicht profitgesteuerte Betreuung von Kindern, Kranken und Pflegebedürftigen ermögliche und das Soziale nicht länger ins Private zu verlagere. Es brauche eine angemessene Honorierung der Arbeit jener, die unbezahlt Fürsorge leisten anstatt einer Lohnarbeit nachzugehen. Das könne vor allem durch eine gute Alterssicherung geschehen. Und darüber hinaus fordert sie eine "radikale Verkürzung sämtlicher Erwerbstätigkeit, damit Fürsorge keine belastende Zusatzarbeit mehr sein muss, sondern integraler Bestandteil menschlichen Lebens sein kann".
Ein Appell an die Politik
Auch Heide Pfarr, die bis zu ihrer Pensionierung als Professorin für Arbeits- und Wirtschaftsrecht an der Universität Hamburg gearbeitet und vielfach zum Thema Arbeitsrecht und Gleichstellung geforscht und publiziert hat, hatte an dem Abend konkrete Vorstellungen davon, wie sich Sorgearbeit und Gleichberechtigung endlich vereinen ließen. Zum einen müsse die Politik deutlich mehr in den sozialen Bereich und eine soziale Infrastruktur investieren. Zum anderen müsste durch Regulierungen auf die Bedingungen der Erwerbsarbeit Einfluss genommen werden. "Wir müssen es schaffen, die Bedingungen von Erwerbsarbeit so zu verändern, dass Menschen, die Sorgearbeit ausführen wollen oder müssen, nicht als Störfälle betrachtet werden. Nicht als die, die abweichen. Alle (Geschlechter) müssen die Möglichkeit haben, dass die Bedürfnisse, die sich aus ihrem Lebenslauf und ihren Lebensbedingungen für die Sorgearbeit ergeben, in der Erwerbsarbeit Berücksichtigung finden".
Ein sogenanntes "Wahlarbeitszeitgesetz" könnte dies erleichtern: Wenn Unternehmen verpflichtet würden, flexible Arbeitszeiten in dem Ausmaß anzubieten, wie sie im Betrieb tatsächlich möglich wären, könnte das privat Fürsorgende zeitlich entlasten. Wenn sie diese Optionen verpflichtend anbieten müssten, könnten auch Männer stärker adressiert werden. Kombiniert mit einer solidarischen finanziellen Absicherung für Sorgearbeit wäre bereits ein großer Schritt in dem Prozess getan, eine Vorstellung von Arbeit zu kultivieren, die neben der Erwerbstätigkeit auch die Sorgearbeit einbezieht.
Pandemie als Anlass, Sorgearbeit neu zu denken

Während der Pandemie wurden in puncto gleichberechtigtere Sorgearbeit eher einige Rückschritte gemacht: Laut Hans-Böckler-Stiftung musste jede 5. Mutter ihre Arbeitszeit wegen Corona reduzieren. 78 Prozent der Mütter seien unzufrieden gewesen mit Corona-Management der Bundesregierung, warf Julia Möhn in die Runde. Das sind weitere Zahlen, die man an einem Tag wie dem 8. März nicht ignorieren sollte. Dass die Politik hier zu spät reagiert hatte, gestand sich Hamburgs zweite Bürgermeisterin Katharina Fegebank ein. Doch sie gab Anlass zur Hoffnung, dass wir am nächsten Weltfrauentag ja vielleicht sogar endlich mal auf ein paar Fortschritte zurückblicken können: "Bei allen Nachteilen und Ungleichheiten, die durch die Pandemie erkennbar wurden, liegt tatsächlich auch eine Chance darin, das ganze Thema Arbeitszeiten und Arbeitszeitmodelle wirklich neu zu denken."