Er hat alles versucht: dagegen antrinken, anschlafen, Serien bingen, stark tun und "einfach funktionieren". Doch irgendwann ging nichts mehr, sagt Alexander Bojcan. Da musste sich der vierfache Vater, den Millionen als Kurt Krömer lieben, ihr stellen: seiner Depression. Heute veröffentlicht der 47-Jährige sein Memoir "Du darfst nicht alles glauben, was du denkst". Bärbel Schäfer hat ihn zum Interview getroffen.
Als vor einem Jahr, am 23. März, Torsten Sträter den "Verhörraum" der Talkshow "Chez Krömer" betritt, ist Kurt Krömer sichtlich nervös. An diesem Tag wird er erzählen, wie Sträter auch, an Depressionen zu leiden. Mehr als 2,5 Millionen Mal wurde das Video der beiden seitdem auf YouTube geguckt. Danach hat Krömer, der in echt Alexander Bojcan heißt, beschlossen, dass Schluss mit dem Versteckspiel ist. Dreißig Jahre hat er versucht, mit der Krankheit allein klarzukommen. Heute ist er 47, alleinerziehender Vater von vier Kindern und bezeichnet sich selbst als trockenen Alkoholiker. Weder er noch sein Umfeld haben gewusst, warum er schon von "Pillepalle" überfordert war, oft grundlos weinte oder nicht das Bett verlassen konnte. Darüber sprechen wir jetzt.
Bärbel Schäfer: Herr Bojcan, wundern Sie sich selbst, wie Sie Ihre Depression so lange mit sich ausmachen konnten?
Alexander Bojcan: Ich habe funktioniert, die Arschbacken zusammengekniffen, einfach immer weitergemacht.
Welchen Preis hat das Funktionieren?
Das ist, als hättest du einen Kopfschuss und sagst: "Alles gut, ich habe nur leichten Kopfschmerz." Heute halte ich inne und gucke, wie schaffe ich diesen Tag.
Lies auch:
- "Diese Sätze würde ich als Depressive gerne öfter hören"
- Ronja von Rönne: "Die Depression ist ein albernes, ekelhaftes, blödes Biest"
- Wenn der Partner an einer Depression erkrankt… Ein persönlicher Erfahrungsbericht
- Unterschied Burnout - Depression
Beim Gipsbein gibt es 100 Prozent Mitleid, den Schmerz verstehen alle. Wie erklären Sie Ihre Depression?
Ich habe ja selbst nicht kapiert, was mit mir los war. Zwei Jahre vor der Klinik habe ich eine Ärzte-Odyssee durchgezogen. Ich dachte, ich bin zu dick, zu viel Cholesterin, zu viel Stress. Ich habe 20 Kilo abgenommen – als jemand, der überhaupt keinen Bock hat auf Sport.
Wie hat sich Ihre Depression gezeigt?
Ich war müde. Jeden Tag. Schon nach dem Aufstehen dachte ich: Wann kann ich mich wieder hinlegen? Ich habe das auf meinen Beruf geschoben. Alles war mir zu viel. Zum Schluss konnte ich noch nicht mal mehr einkaufen gehen. Ich lag zuerst acht Stunden im Garten und dachte: Ruh dich mal aus. Daraus wurden Wochen und Monate. Ich konnte nur noch liegen, auf nichts mehr reagieren. Es war, als hätte sich eine alte, schwere, stinkende Hexe auf meinen Brustkorb gesetzt.
Tag und Nacht?
Abends war die beste Zeit. Ab 21 Uhr sind meine vier Kids im Bett. Keiner mehr da. Keine Anrufe, keine Mails. Ich war allein. Mit Dokus und TV habe ich mich sediert. Meine Konzentrationsfähigkeit war auf dem untersten Level. Ich wollte nur noch liegen und schlafen.
Es war, als hätte sich eine alte, schwere, stinkende Hexe auf meinen Brustkorb gesetzt.
Alexander Bojcan über seine DepressionTweet
Konnten Sie dann abschalten?
Das Raketenfeuerwerk im Kopf begann bei mir direkt nach dem Aufwachen. Ab dem Gedanken "Ich muss jetzt einkaufen" hat es oft vier bis sechs Stunden gedauert, bis ich mit einem Einkaufszettel im Supermarkt stand. Als Depressiver kommst du nicht auf den Punkt, kommst nicht zum Ende des Gedankens, den du noch kurz denken willst. Mit Abwasch, Arbeiten und Elternabenden lenkst du dich ab. Sobald die Stille kommt, geht alles von vorne los. Ich war abends nur noch fertig, ich konnte nichts mehr denken.
Hatten Sie Suizidgedanken?
Nein. Ich habe Kinder. Ich bin alleinerziehend, ich kann nicht sagen, mir ist alles scheißegal, ich springe aus dem Fenster, sollen doch alle sehen, wie sie klarkommen, so krass war ich nicht drauf. Ich war verzweifelt, ja. Ich dachte oft, gleich gehe ich in die Notaufnahme, lasse mich einweisen, die sollen mir eine Beruhigungsspritze geben, und da komme ich zwei, drei Tage zur Ruhe.
Was hat es Ihnen schwer gemacht zu sagen: Leute, ich brauche Hilfe?
Ich bin verstummt. Hatte keinen Zugang zu meinen Emotionen. Ich sah nur noch Probleme. Der Rasen musste gemäht werden, aber da saß eine Bodenplatte locker. Bei einer Depression ist zu 98 Prozent alles gut im Leben, als Depressiver stürzt man sich aber auf die zwei Prozent, die nicht perfekt laufen. Dieses Gefühl ging nicht mehr weg, ich fand so vieles einfach nur noch scheiße.
Gab es noch Momente, in denen die Depression nicht alles bestimmt hat?
Ich habe irgendwann eine Alkoholsucht entwickelt und jahrelang nicht gewusst, bin ich depressiv oder Alkoholiker. Alkohol ist so etabliert in unserem Alltag. Es gab jeden Tag einen Grund zu trinken. Ich habe sonntags extrem viel getrunken, mich montags geschämt. Zwei Tage später habe ich wieder angefangen zu trinken. Ich wusste genau, wie ich mich abschießen konnte. Ich wusste damals nicht, was ich da tue, aber ich glaube, ich habe mir die Depression weggetrunken und bin dadurch alkoholkrank geworden. Mit meinem kalten Entzug habe ich knapp die Notbremse gezogen.
In Ihrem Buch erzählen Sie, wie Alkohol den Alltag Ihres Elternhauses geprägt hat. Ihr Vater, ein Schlägertyp, hat vor Ihren Augen und denen Ihrer Schwester Ihre Mutter gedemütigt, Sie als Kind kleingemacht und war erst zufrieden, wenn alle weinten.
Alle sprechen von der großen Ehrlichkeit und vom real talk, ich dachte, dann schreibe ich mal auf, wo die Dramatik hinter allen Handlungen lag. Ich habe diese Scheißvergangenheit lange mit mir herumgetragen, es war eben nicht schön.
Männer sind so doof, wir reden immer viel zu spät über unsere Probleme.
Alexander BojcanTweet
Sie waren Alkoholiker, beruflich im Dauerstress, frisch verliebt und plötzlich auch noch impotent.
Und Impotenz ist das noch größere Tabu als Alkohol. Nichts ging mehr. Es war echter Stress. Ich war 20 Jahre nicht beim Urologen und hatte den Verdacht, ich habe Hodenkrebs. Männer sind so doof, wir reden immer viel zu spät über unsere Probleme. Zum Glück konnte ich diese Phase überwinden.
Kurt Krömer ist schlagfertig, erfolg reich und stark. Alexander Bojcan ist schmallippig, zerstörerisch, gereizt, launisch und nicht lustig. Wie passen diese beiden Typen zusammen?
Kurt Krömer hat es einfach. Er existiert von 20 bis 22.30 Uhr beim Auftritt. Danach ist Feierabend. Kurt kommt auf die Bühne und spielt sein Ding, der ist in Watte gebettet und das Team regelt sein Leben. Ein Krömer muss sich nicht mit Kindern, Schule, Alltag rumplagen. Ich dachte lange Zeit, ich habe eine Form von Autismus. Ich saß da, fühlte mich ganz bombe und Leute fragten mich: "Mensch, was ist los mit dir? Alles okay?" Freude hat sich nicht mehr in meinem Gesicht widergespiegelt.
Auf mich wirkten Sie lange wie ein Mann mit angezogener Handbremse. Unnahbar, eher lauernd beobachtend.
Ist ja auch ein Klischee, der Komiker Krömer mit Depression. Viele sprechen ja nicht drüber, aus Angst vor privaten oder beruflichen Konsequenzen. Wir haben inzwischen aufgedeckt, dass an die fünf Millionen Menschen in unserem Land von ihrer Depression wissen. Ich habe gelernt, dass ich mir nichts anmerken lasse. Ich wollte perfekt sein.
Gilt das auch für Sie als Vater?
Ja, unter 99 Prozent ging bei mir gar nichts. Jedes Kind sollte zu jedem Geburtstag außergewöhnliche, selbst gebackene Torten bekommen. Ich wollte immer das perfekte Haus für den Urlaub mit den Kids buchen, bin aber an meinen Ansprüchen gescheitert. Heute kann ich zugeben: Ich bin nicht perfekt.
Warum sprechen Sie heute offen über Ihre Depression?
Ich muss mich nicht verstecken, ich kann die Hose runterlassen. Ich war in einer Tagesklinik mitten in Berlin. Man hätte mir aus der S-Bahn folgen können, um zu sehen, da betritt ein kranker Mensch eine Klinik, um sich helfen zu lassen. Ich habe nichts zu verlieren. Vor 20 Jahren war unsere Gesellschaft noch nicht so weit, um offen über mentale Schwierigkeiten und Alkoholsucht zu sprechen. Ich habe ein Doppelleben geführt, und jetzt habe ich mich geoutet.
Acht Wochen Therapie haben Sie hinter sich. Hatten Sie vorher Vorurteile gegenüber psychiatrischen Kliniken?
Absolut. Auch ich dachte, wir werden dort angekettet und mit Stromschlägen behandelt (lacht). Für mich war die Klinik etwas für Kranke. Keiner spricht doch darüber, was dort abgeht in einer Entzugs- oder Depressionsklinik. Ich hatte sehr große Angst davor.
Plötzlich hat Kurt Krömer Gruppentherapie, sitzt im Stuhlkreis und macht Atemübungen mit anderen Betroffenen auf dem Teppich. War Ihre Prominenz ein Thema?
Kurt Krömer existierte in der Klinik nicht! Mir ging es richtig scheiße. Ich kam weinend am ersten Tag an, ging an der Teeküche bei den Mitpatienten vorbei und bin direkt in den Ruheraum. Keiner hat mich gefragt, was los ist, weil alle wussten, wie ich mich fühlte.
Sie sagen, es gab das wütende Weinen, das aufgewühlte, verzweifelte und das schluchzend hoffnungslose. Laufen Ihnen heute noch die Tränen?
In der Klinik habe ich durchgehend geweint. Mir wurde bewusst, endlich bin ich an dem Ort, wo mir geholfen wird. Die Suche war zu Ende, ich musste mich nicht erklären. Es war ein befreiendes Weinen. Ich weine heute noch, nur nicht mehr so lange, weil alles so schön ist.
Welche Bedeutung hatte das Bett während der Depression für Sie?
Es war mein Lebensort, während ich nicht mehr am Leben teilnehmen konnte. Schon im Sommer 2019 dachte ich, ich werde langsam verrückt. Ich lag bewegungsunfähig entweder im Garten oder im Bett. Im Bett habe ich 20 Minuten überlegt, ob ich aufs Klo gehen soll. Das war wie gelähmt sein, eine unglaublich tiefe Schwere.
Mochten Sie sich in dieser Zeit?
Damals in der U-Bahn saß ich fremden Männern gegenüber und dachte, ich wäre so gern dieser andere Mann. Egal, welches Vorleben er mitschleppt, alles besser als mein mieser Zustand. Ab und zu habe ich mir gewünscht, eine Woche lang komplett oberflächlich zu sein.
Überforderung schon beim kleinsten Pillepalle, prokrastinieren, auch bei Problemen, kein Zugang zu den eigenen Gefühlen. Was haben Sie sich vom Klinikaufenthalt erhofft?
Ich war wie in einer tiefen Grube gefangen, auf der ein schwerer Deckel lag. Der Deckel wurde langsam zur Seite geschoben. Ich sah endlich wieder ein Kaleidoskop von Gefühlen, Empathie, Verständnis, Ideen. So viel mehr als nur die schwarze Wolke über meinem Kopf. Ich bin langsam zurückgekommen, sah nicht nur das, was scheiße ist. Ich habe über Jahre meine Emotionen zurückgehalten, dann macht es peng, und ich konnte wieder aus dem Vollen schöpfen.
Wissen Sie heute, was die Ursache Ihrer Depression ist?
So eine Reise zurück in die vielen Zimmer der Kindheit kann ganz schön wehtun. Ich hatte Angst, leer im Kopf aus der Klinik entlassen zu werden, zu hören, ich bin weder lustig noch talentiert. Depression zieht dir eine Decke über den Kopf und lässt nur diese eine dunkle Emotion zu. Als ich am 20. November 2020, an meinem Geburtstag, aus der Klinik entlassen wurde, war ich so euphorisch, als hätte ich Ecstasy geschluckt. Ich wollte fremde Menschen umarmen, es war mitten im Lockdown eine irre Gefühlsexplosion.
2020 aus der Klinik raus, Beziehung am Ende und Sie haben Frühlingsgefühle? Waren Sie auf dem Weg der Eso-Typ zu werden, der an rosa Quarzsteinen lutscht und sein Leben nach Mondphasen ausrichtet?
Hätten Sie mir vor fünf Jahren gesagt, ich sitze atmend auf einem Teppich und alles befreit sich in mir, ich hätte Ihnen nicht geglaubt und unsere Wege hätten sich sofort getrennt.
Warum gibt es so viel Hilflosigkeit im Umgang mit Menschen, die nicht funktionieren?
Wir sind alle keine ausgebildeten Therapeuten. Meinen Ex-Freundinnen kann ich keine Schuld zuschieben, wir waren alle verzweifelt. Keiner hat die Zeit, sich 20 Stunden mit seinem Partner hinzusetzen und mantramäßig zu wiederholen: Schatz, wir schaffen das schon. Ich rate immer dazu, zum Arzt zu gehen.
Sind Sie bei den Achtsamkeitsübungen geblieben?
Seit 20 Jahren sagen mir Leute: "Mach Yoga, das beruhigt dich.“" Nein, wenn ich mich beruhigen will, gehe ich zur Maniküre, joggen oder esse ein Croissant. Ich nehme mir heute mehr Zeit für mich. Zwei Minuten nach dem Aufwachen analysiere ich, wie es mir geht. Gut, scheiße, müde, wach? Ich kenne meine Grenzen jetzt viel genauer.
Fällt Ihnen das Leben heute leichter?
Ja, auch wenn es nicht sorgenfrei ist. Wir haben auch Probleme unter dem Dach, die wir ansprechen müssen. Aber ich bin gelassener. Ich kann den Kindern heute wieder zuhören, bin emotional wieder anwesend in der Familie.
Ich danke für das Gespräch.
Ihr glaubt, selbst von Depression betroffen zu sein (oder ein:e Angehörige:r)? Wendet euch an euren Hausarzt, an die Telefonseelsorge (0800-111 0 111) oder die Deutsche Depressionshilfe (tagsüber: 0800-33 44 533). Auf deren Homepage gibt es einen Selbsttest, ob es eine Depression ist und falls ja, wie ausgeprägt sie bereits ist.

"Du darfst nicht alles glauben, was du denkst. Meine Depression" von Kurt Krömer. Ab 10. März 2022 bei Kiepenheuer & Witsch, 20 Euro.
Auch als Hörbuch, eingesprochen von Kurt Krömer, bei argon Hörbuch. Hier seht ihr Kurt Krömer im Video-Interview zum Hörbuch.
Mehr Themen: