Der Anteil an weiblichen Gründungen in Deutschland steigt. Dennoch stehen Frauen bei der Gründung vor der Frage nach der Vereinbarkeit von Gründung und Familie. Wir haben mit Verena Pausder und Thea Broszio über die aktuelle Situation für Gründerinnen und ihre Erfahrungen gesprochen.
Verena Pausder ist Unternehmerin, Autorin, Podcasterin und eine der einflussreichsten Frauen der deutschen Gründer:innen-Szene. Sie war Speakerin auf der Gründerinnenkonferenz "Frauensache: Unternehmen gründen", die EMOTION zusammen mit dem Bundesverband der Freien Berufe e.V. und weiteren Partnern in Berlin veranstaltet hat. Thea Broszio ist die Gründerin von Womatics, die dreifache Mutter hat das "Mama Cooling-Gel" für die Stillzeit entwickelt, sie wird über ihre Erfahrungen auch auf dem EWD am 8. Mai in Hamburg sprechen. Was läuft gut für Gründerinnen in Deutschland, wo hakt es?
Liebe Verena, ich erinnere mich, dass du sagtest, du würdest nie Fragen nach Vereinbarkeit von Gründung und Familie nicht beantworten. An den Ergebnissen des Female Founders Monitor zeigt sich: Genau dort sehen Gründerinnen immer noch die größten Herausforderungen. Was fragen dich Gründerinnen heute?
Verena Pausder: Bei Gründerinnen sehe ich vor allem drei Hürden. Zuallererst müssen sie den Mut finden, abzuspringen und alle Selbstzweifel und Bedenken hinter sich lassen. Als nächste Hürde muss der Zugang zu Finanzierung überwunden werden. Und nicht zuletzt ist für 40 Prozent der Frauen die Vereinbarkeit von Familie und Beruf entscheidend. Dabei funktioniert oft die Aufgabenteilung in den Familien nicht gut. Der größte Teil der Verantwortung für die Kinder liegt bei vielen Frauen, mit denen ich spreche, immer noch bei den Müttern. Auf der anderen Seite müssen wir die Rahmenbedingungen verändern. Die Bertelsmann-Stiftung hat errechnet, dass im kommenden Jahr 380.000 Kita-Plätze fehlen. Da müssen wir dringend ran. Plätze müssen geschaffen und vor allem der Beruf Erzieher:in oder Pfleger:in wieder attraktiver werden. Die liebevolle Pflege unserer Kinder und Familienangehörigen muss uns künftig deutlich mehr wert sein, als einen Applaus im Corona-Lockdown.
Der Monitor schreibt: "Für Gründerinnen mit Kindern reduziert sich die durchschnittliche wöchentliche Arbeitszeit um knapp sechs Stunden. Wie lösen Gründerinnen dieses Thema für sich?
Verena Pausder: Diese Herausforderung ist für alle berufstätigen Mütter ein Thema, egal ob Gründerin oder Managerin. Der Ausbau der Ganztagsangebote ist der größte Hebel, um Frauen schneller wieder in die Arbeitswelt zurückzuholen. Nicht jede Frau muss arbeiten wollen. Aber jede Frau, die will, muss können. Das können viele aktuell aber nicht. Es besteht zwar ein Anspruch auf Kita-Plätze, aber in den alten Bundesländern kann er allzu oft nicht gewährleistet werden. Wenn bis 2030 im Westen jedes Grundschulkind ein Ganztagsangebot erhalten soll, müssten über eine Million zusätzliche Plätze mit mehr als 76.000 Fachkräfte aufgebaut werden, so die Bertelsmann-Stiftung. Deshalb müssen Mütter heute noch auf Alternativen ausweichen, z. B. durch Tagesmütter, Au-pairs, Kindermädchen oder Großeltern. Meine Mutter hat mir immer geraten “Such dir eine Mary Poppins für deine Kinder”. Das hat mir sehr geholfen und mir Flexibilität gegeben, besonders in der Zeit, als ich alleinerziehend Fox & Sheep gegründet habe. Thea, wie siehst Du das?
Thea Broszio: Ich kann mich anschließen. Ein funktionierendes Betreuungsnetzwerk ist unumgänglich und das beginnt in meinem Fall mit meinem Ehemann. Da aber sowieso immer jede/r eine komplett unterschiedliche Ausgangslage hat, ist das natürlich nie pauschal zu sagen. Mit dem Start meiner Selbstständigkeit war mir sofort klar, dass sich das Verhältnis der Care-Arbeit in unserem Fall verändern wird und muss. Und das geht damit los, dass mein Mann jetzt eben auch unterstützend nachmittags und abends einspringt, das war vorher eher weniger bis gar nicht der Fall. Aber was ich hier gerade vorantreibe, beeindruckt ihn und da zieht er mit. Umdenken und etwas verändern wollen beginnt immer bei einem selbst. Ich habe das Teilen der Carearbeit lange nicht eingefordert und somit auch nicht angeboten bekommen. Jetzt ist das anders und – Überraschung ;-) – es funktioniert ganz toll.
Thea, von dir habe ich den Begriff „Early Mom“ gelernt, das warst du mit 24, inzwischen bist du 3-fache Mutter, das ist in Deutschland ohnehin eine sehr kleine Gruppe. Was wirst du von anderen Gründerinnen zur Vereinbarkeit gefragt?
Thea Broszio: Ehrlich gesagt gar nicht mehr so viel. Ich denke, dass das Thema schon sehr viel beleuchtet wird. Dennoch, klar, ist es nach wie vor Dreh- und Angelpunkt, um es uns Müttern überhaupt möglich zu machen, neben der Familienarbeit noch einer anderen Tätigkeit nachzugehen. Das ist viel Organisation, was es manchmal anstrengend macht, weil ein Rad ins andere greifen muss, aber es kann funktionieren. Mein Tag hat auch wie bei jedem anderen 24 Stunden, und manchmal stehe ich am Ende eines solchen selbst vor mir und denke „Was hast Du heute wieder alles gemacht!“ Aber es macht mich glücklich, mich persönlich weiterzuentwickeln und ich kann es nur empfehlen, das alles hier ist mein happy place! Ich fordere und fördere mich selbst und, ja: Familie und Kinder sind etwas Tolles, aber da gibt es eben auch noch mich als Individuum. Und für dieses Ich lebe ich einen gesunden Egoismus.
Du hast alleine gegründet, und bist damit wiederum in der Mehrheit. Der Monitor hält fest, dass Frauen sich viel öfter für eine Sologründung entscheiden als Männer. Was waren deine Motive?
Thea Broszio: Das war keine Solo-Nummer bei mir, das geht ja gar mit einer Familie eigentlich gar nicht. Wenn Kinder im Spiel sind, ist es meiner Meinung nach immer eine Kollektiventscheidung im engsten Umfeld, ob man den Sprung wagt oder nicht. Du musst den Support von allen haben, sonst wird es sehr, sehr schwer. Als ich meinen Mann an Bord hatte und wir unser Familienkonzept – so wie es bis dahin war – neu sortiert hatten, habe ich losgelegt.
Zu welchen Themen suchst du dir Unterstützung?
Thea Broszio: Die Social-Media-Kanäle sind etwas, das mich teilweise mit Fragezeichen zurücklässt. Die Algorithmen sind scheinbar mittlerweile so programmiert, dass es wirklich schwer wird, eine Community aufzubauen. Besonders TikTok ist mir einfach wirklich fremd, hier hole ich mir Support von der jüngeren Generation dazu. Und dann findet automatisch ein Win Win statt – gerade in diesem Bereich kann ich so viel von der Next Generation lernen und in vielen anderen Themen die dann eben auch von mir.
Liebe Verena, der Bericht stellt zum Verhältnis von Investor:innen und Gründerinnen fest, dass Gründerinnen seltener zufrieden sind mit ihren Investor:innen und schreibt: "Das deutet auf eine Kluft zwischen Gründerinnen und der Investmentszene hin." Wie nimmt du als Investorin dieses Verhältnis wahr?
Verena Pausder: Dass Frauen 9x weniger Kapital bei Finanzierungsrunden erhalten als Männer, ist schon ein deutliches Signal. Der Schlüssel zu besserem Zugang zu Business Angels und Venture Capital ist aus meiner Sicht mehr Weiblichkeit in diesem von Männern dominierten Segment. Als Gründerin gehöre ich zu einer Minderheit von 6 Prozent, die als Business-Angel aktiv ist. Da braucht es noch mehr Solidarität für junge Gründerinnen. Und wir brauchen mehr Anreize und Förderung für Investments in junge Unternehmen. Und noch viel mehr Frauen auf Partnerebene in den Venture Capital-Fonds. Role Models wie Sonali De Rycker, Daria Saharova, oder Dr. Gesa Miczaika zeigen, dass es geht. Eine diversere Investmentszene wird langfristig zu mehr und höheren Investments für Frauen führen.

Du interessierst dich für das Thema Gründung? Dann komme zum EMOTION Women’s Day. Am 8. Mai veranstalten wir DIE Jobkonferenz für Frauen. Sei dabei im Cinemaxx Hamburg Dammtor!
Thea, du schreibt zu deiner Gründung "WOMATICS": "gegründet aus dem eigenen Bedarf". Warum war das dein Gründungsimpuls?
Thea Broszio: Mein Turningpoint war mein 3. Kind, meine Tochter Hedda. Nach meinen zwei Jungs, die ich beide stillte und bei beiden unter Milchstau litt, saß ich auch mit ihr eines Nachmittags zu Haus. Ich stillte sie, meine Brust schmerzte, meine beiden Rabauken tobten durchs Wohnzimmer und ich dachte mir „Es reicht. Es kann nicht sein, dass wir Mütter in 2020 keine andere Möglichkeit haben, uns bei Milchstau zu helfen, als uns Kohl- oder Quarkwickel auf die Brust zu schmieren. Wie soll ich das mit drei Kindern machen?! Es muss etwas her, was es so noch nicht gibt und das mache ich jetzt allein!“ So versprach ich meinem kleinen Mädchen, dass es, wenn es irgendwann selbst Mama sein würde, eine Stillcreme geben wird, die die altertümlichen Wickel ablöst und startete mit Womatics eine echte Alternative für moderne Mütter.
Unter den 100 reichsten US-Selfmade-Women kommen allein 14 aus der Beauty-Branche. Unterschätzen wir Branchen wie Beauty?
Thea Broszio: Ja und nein. Beauty ist ein stark umkämpftes Feld, gerade mit Blick auf die Drogerien ist der Platz sehr beengt, aber wenn man sich offline gut aufstellt, hat man natürlich – wie in fast jeder Branche - unendliche Möglichkeiten. Dennoch: Alles braucht seinen USP, sonst bringt auch das nichts. Der ist in der Beauty glaube ich nur noch schwer zu finden. Aber vielleicht gehöre ich auch zu denjenigen, die die Branche unterschätzen. Ich sehe meine Marke alledings nicht als Beauty-Marke, sondern viel mehr als Problemlöser-Marke für Frauen .
Verena, der Monitor macht einen klaren Unterschied aus: Frauen gründen in bestimmten Branchen und oft als Social Business. Wie beurteilst du das?
Verena Pausder: Einerseits finde ich es super, dass Frauen Mitmenschlichkeit und das Gemeinwohl im Blick haben, mit sozialem Impact gründen. Auf der anderen Seite zeigt diese Analyse, dass unsere Kinder noch immer zu geschlechterstereotyp erzogen werden und wir zu wenig Mädchen für MINT begeistern. Die Neugier auf Technologie haben wir bei der Arbeit in den Digitalwerkstätten bei Jungen und Mädchen gleichermaßen gesehen. Dieses Feuer weiter anzufachen ist Aufgabe der Schulen. Momentan sind Frauen in den technischen Ausbildungsberufen und Studiengängen, wie IT, Mathematik oder Ingenieurwissenschaften, unterrepräsentiert. Viel mehr MINT-Förderung und digitale Bildung sind daher für Mädchen essenziell, weil sie die Grundlage für Chancengleichheit schaffen und dafür sorgen, dass mehr Frauen Tech-Unternehmen gründen.
Wenn du auf 2022 zurückblickst: Was macht dir Hoffnung, was Sorgen für Female Founders?
Verena Pausder: Sorge macht mir der Fachkräftemangel. Schon jetzt haben 9 von 10 Startups unbesetzte Stellen. Das bremst Wachstum und Innovation. Froh stimmt mich der seit 2018 steigende Anteil toller Gründerinnen. Mit heute 20 Prozent Female Founders geht der Trend absolut in die richtige Richtung. Jetzt dürfen wir nicht nachlassen, die Rahmenbedingungen für Gründerinnen weiter zu verbessern - besonders, was Finanzierung und Vereinbarkeit betreffen. Dann schaffen wir es auch, die Gründerinnenquote bis 2030 auf 50 Prozent zu heben.
Ihr seid Cousinen: Wie wichtig sind Familien und familiäre Prägung für den Entschluss, Unternehmerinnen zu werden?
Verena Pausder: Sehr wichtig. Als wir Kinder waren, ging es am Mittagstisch um Börsenkurse und wirtschaftliche Themen, um Verantwortung und Entwicklung. Das hat mich stark geprägt. Mehr noch als von unserem Familienunternehmen war ich von der Gründung meiner Mutter beeindruckt. Sie hat mir gezeigt, dass man sein eigenes berufliches Leben in die Hand nehmen und selbst gestalten kann. Startups haben mich immer fasziniert, weshalb ich mich gegen eine Laufbahn im Familienunternehmen entschieden habe. Heute schlagen zwei Herzen in meiner Brust. Das der Gründerin für Innovation und Geschwindigkeit und das der Familienunternehmerin für Stabilität und Verantwortung.
Thea Broszio: Ähnlich wie bei Verena ist es auch bei mir vor allem meine Mutter, die mich mein Leben lang tief beeindruckt und positiv geprägt hat. Trotz sechs Kindern zu Hause ist sie immer arbeiten gegangen und hat sich mit unzähligen tollen Projekten selbst verwirklicht und immer viel bewegt. Sie hat mir gezeigt: Alles ist möglich - egal ob oder wie viele Kinder du hast, wenn du für dich und deine eigenen Interessen einstehst.
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