Wie divers ist die deutsche Wirtschaft, Barbara Lutz?
03.12.2021
Julia Möhn
In welchen Feldern von Diversity geht es voran, in welchen stoppt die Entwicklung oder droht ein Backlash? Zum Jahresende habe ich dazu mit Barbara Lutz gesprochen.
Barbara Lutz hat 2012 den „Frauen-Karriere-Index“ (FKi) gegründet, mit dessen Hilfe Unternehmen ermitteln können, wie gut sie für die Karrieren von Frauen aufgestellt sind. Mit dem „Impact of Diversity-Award + Think Tank“ hat sie mit ihrem Team 2020 eine neue Plattform geschaffen, auf der Ideen ausgetauscht und Menschen und Best Practices hervorgehoben werden. Bis zum 13.12. können noch in 14 Kategorien Vorschläge für den Award 2022 eingereicht werden. EMOTION präsentiert die Kategorie "Social Inclusion", die Initiativen oder Maßnahmen auszeichnet, die junge Menschen aus sozial benachteiligten Milieus stärkt.
Fortschritt oder Rückschritt – wie fällt deine Diversity-Jahresbilanz aus?
Drei Entwicklungen sehe ich in diesem Jahr:
1. Das Zweite Führungspositionen-Gesetz (FüPoG 11) ist zu einem echten Treiber für Veränderungen geworden, weil es nicht nur auf den Vorstand, sondern auch auf die Managementebenen darunter wirkt. Die Unternehmen bauen ihre Strukturen jetzt so um, dass Frauen für diese Positionen aus den eigenen Reihen kommen können.
2. Sehe ich eine extreme Blasenentwicklung zum Thema Diversity, vor allem auf Linkedin. Dort hat man den Eindruck, dass Diversity Name of the Game ist, und ist schnell und hart in der Kritik. Dieses Bashing ist nicht hilfreich und oft weit entfernt von unternehmerischen Realitäten. Einen hohen Anforderungsstatus zu formulieren und sich um die Umsetzbarkeit nicht zu scheren führt zu Abwehr auf Seiten der Verantwortlichen, die sich jeden Tag damit auseinandersetzen.
3. Sehe ich ein vorsichtiges Herantasten der Gesellschaft und Unternehmen an Diversity-Themen. Es wird in allen Unternehmen klar, dass dies Themen sind, die die Zukunft mitentscheiden, vor allem beim Recruiting, im War of Talent. Und ich bin froh über jedes Unternehmen, das sich herantastet, und die eigenen Anstrengungen reflektiert. Beim FKi sehen wir bei der Indexierung der Unternehmen die Absichten und die dazu nötigen Maßnahmen. Wichtig und nicht zu unterschätzen ist, es muss eben auch einmal begonnen werden. So haben wir Unternehmen mit einem Einstiegsindex von 52 Punkten und Unternehmen mit Ergebnissen nach vielen Jahren Arbeit in den Strukturen und Maßnahmen in den 90 Punkten – beide wollen sich entwickeln und das ist großartig.
Auf der Vorstandsebene von DAX-Unternehmen gibt es positive Nachrichten. Der neue Allbright-Bericht zeigt: Es gibt insgesamt 25 Vorständinnen mehr als im Vorjahr, mit 20 Unternehmen haben so viele wie nie zuvor eine erste Frau berufen. Wie beurteilst du diese Zahlen?
Natürlich erst mal positiv. Wie schon gesagt, einige Strukturen sind durchlässiger geworden. Da, wo man nichts an den Strukturen verändert, sondern nur einzelne Frauen beruft, hören wir viele Berichte über Microaggressionen diesen Frauen gegenüber. Investor:innen wollen aber nicht mehr diese Einzelberufungen. Diverse Teams sind erfolgreicher, aber dafür müssen es eben Teams sein.
Konkret zu weiteren Diversität-Dimensionen: Wie beurteilst du die Entwicklung für LGBTIQ+?
Generell gut. Natürlich gibt es rein symbolische Handlungen, die Aktivist:innen ärgern, wenn eine Firma zum Pride Month einen Regenbogen-Flagge vors Hauptquartier stellt, sonst nichts tut. Das gibt es, aber es wird weniger. Was mir auffällt: Wenn sie mit anderen Dimensionen zusammen agiert, ist das eine starke Phalanx, die Unternehmen wirklich verändern kann. International geht es auseinander: In den USA sehr sichtbar, in osteuropäischen Ländern trifft sie auf eine von den Regierungen organisierte Homophobie.
Wie arbeiten deutsche Unternehmen beim Thema Age Inclusion?
Das beschäftigt alle!
Gibt es da Best Practice Beispiele?
Was oft gut funktioniert, sind Shared Leadership Modelle – die Männer gehen in Altersteilzeit, die Frauen in Führung wollen ihren Job in Teilzeit ausüben, beide profitieren, die Firma auch. Was auch gut geht: Die alte Arroganz und die junge Arroganz in Teams mischen. Ich habe in den USA auch immer Teammitglieder 70plus gehabt, dort ist das selbstverständlich. Diese Kultur wünsche ich mir auch für Deutschland.
Meinst du mit der jungen Arroganz auch diese "Hey Boomer"-Witze?
Ja, für mich ist das auch eine behauptete Veränderungsdominanz, große Veränderungen in der Arbeitswelt haben Gen Y und Gen Z noch gar nicht erlebt. Jede Arroganz einer anderen Alterskohorte gegenüber ist unangebracht – auch gegenüber weißen alten Männern.
Mein Eindruck ist: Wir sprechen in der Gesellschaft verstärkt über Rassismus, aber kaum in Bezug auf Arbeit. Wie präsent ist diese Dimension von Diversität?
Auf der einen Seite ist Internationalisierung ein No Brainer. Auf der anderen Seite: Haben wir deshalb DAX-Vorstände mit unterschiedlichen Hautfarben? Eher sehr wenige. Die Manifestation dieser Diskriminierung ist bei uns anders als in den USA, aber für die Betroffenen nicht weniger dramatisch.
Wir schauen auf ein Jahr mit besonderen Belastungen für Arbeitnehmer:innen: Gibt es einen Zusammenhang zwischen einem auf Diversity-eingestellten Unternehmen und guten Reaktionen auf die Pandemie? Also gibt es eine Arbeitskultur, die Flexibilität und Diversität fördert?
100prozentig! Wir fragen seit 10 Jahren nach Arbeitszeit und Arbeitsort im FKi und haben sehr verlässliche Daten. Wer arbeitet in Teilzeit, wer remote? Sind es nur die Mütter, nur die Eltern oder auch Menschen ohne Kinder und auf welche Management-Ebene geht das? Wir sehen: Firmen, die sich gezielt um Gleichstellung und Diversität bemühen, waren bereits 2014 beim Thema New Work und Home-Office weiter als der Markt heute. Bei diesen Unternehmen haben 67 Prozent der Vorstände Homeoffice praktiziert haben und zwar 2019. In unserer Vergleichsstudie hat sich auch gezeigt, dass die Diversorientierten Unternehmen bereits schon in die Zukunft Denken und über den „New Way of Working“ auch nach Corona nachdenken 90% – bei den traditionellen Unternehmen sind dies unter 20%. Die offenen, agilen Unternehmen sind viel besser mit der Pandemie umgegangen, haben auch für Blue Collar Jobs Ideen entwickelt und so dem Auseinanderdriften der Belegschaft entgegengewirkt. Für die Transformation braucht es das Aufbrechen monotoner Strukturen. Je reifer das Unternehmen ist, desto eher findet es neue Antworten.