Als Anwältin setzt sich Sandra Runge für die Rechte von Eltern ein und vertritt viele Mütter vor Arbeitsgerichten. Während Corona hat sie mit ProParents eine Petition gestartet, die Eltern einen besseren gesetzlichen Schutz vor Diskriminierung ermöglichen soll. Wo Eltern im Job strukturell benachteiligt werden und was man selbst dagegen tun kann, erzählt Sandra Runge im Interview.
Frau Runge, mit ProParents setzten Sie sich für die Rechte von Eltern ein. Warum haben Sie diese Initiative zu Beginn der Corona Pandemie gegründet?
Als Anwältin beschäftige ich mich seit 10 Jahren mit dem Thema Elterndiskriminierung. Wir haben ein strukturelles Problem. Und zwar, dass Eltern systematisch benachteiligt werden. In der Berufswelt betrifft das hauptsächlich Mütter, aber auch Väter, die Fürsorgearbeit leisten. Dann kam Corona, wodurch sich viele Missstände verschärft haben. Gefühlt wurden die Bedürfnisse von Eltern und Kinder am Anfang überhaupt nicht wahrgenommen. Sie haben eben keine Lobby. Katrin Wenzel, die damals die Initiative „Eltern in der Krise“ gegründet hat und ich haben uns zusammengetan und überlegt, was wir tun können. Während unsere Kinder wegen geschlossener Schulen zu Hause waren, haben wir die Petition ProParents auf die Beine gestellt. Wir fordern, dass Elternschaft beziehungsweise Fürsorgeleistungen ins Antidiskriminierungsgesetz aufgenommen werden.
Inwiefern werden Eltern diskriminiert?
Die Fälle sind sehr vielseitig. Am häufigsten finden Diskriminierungen bei Offenbarung einer Schwangerschaft und zum Wiedereinstieg statt. Es sind aber auch viele Eltern mit Kindern im Kita- und Schulalter betroffen aufgrund von geschlossenen Einrichtungen. Die Diskriminierung geht damit los, Eltern aufs Abstellgleis zu stellen, Frauen bei Offenbarung der Schwangerschaft die Verantwortung zu entziehen, Fortbildungen während der Schwangerschaft zu streichen und Einarbeitungen abzubrechen. Vielen Müttern wird direkt nach der Elternzeit gekündigt oder sie bekommen einen schlechteren Job angeboten und ihre Teilzeitanträge werden unberechtigt abgelehnt. Aber auch Bemerkungen können diskriminierend sein. Sie fordern mit Ihrer Petition, dass Elternschaft und Fürsorgeleistungen ins Antidiskriminierungsgesetz aufgenommen werden.

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Sandra Runge ist Speakerin beim EMOTION Women's Day am 19. Mai 2022 und weiß als Anwältin, vor welchen Herausforderungen Eltern aktuell stehen. Bei EWD verrät sie, wie man seine Rechte als Eltern durchsetzen kann, um sich gegen Benachteiligungen zu wehren.
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Was welche Auswirkungen hätte das?
Wir versprechen uns einen besseren gesetzlichen Schutz für Eltern, indem Elternschaft, Fürsorgeleistungen, als Diskriminierungsmerkmal in das allgemeine Gleichbehandlungsgesetz aufgenommen werden. Kommt es zu Rechtsverletzungen, greifen Mechanismen wie Schadensersatzmöglichkeiten und Beweislastumkehr ein. Mütter und Väter hätten einen stärkeren Rechtsschutz, weil sie sich auf eine zentrale Allgemeinklausel berufen können. Dann stünde im Klartext in unseren Gesetzen, dass es nicht in Ordnung ist, dass Menschen benachteiligt werden, die Kinder bekommen oder Fürsorgearbeiten leisten. Sind die Kinder aus dem Größten raus, geht es für viele mit den eigenen Eltern los.
Welche Gesetze zum Schutz von Eltern gibt es bereits und welche Aspekte fehlen Ihnen?
Es gibt das Mutterschutzgesetz, das Bundeselterngeld- und Elternzeitgesetz, das Teilzeit- und das Befristungsgesetz. In der Praxis sehe ich, dass trotz dieser gesetzlichen Grundlagen immer noch viel Schlimmes passiert. Mir fehlt eine klare Regelung dazu, dass man nicht nach dem Wiedereinstieg benachteiligt wird und nach der Elternzeit Kündigungsschutz hat. Gesetze sind Motoren für Veränderungen. Natürlich geht es aber auch um die Frage, ob man seine Rechte geltend macht. Da habe ich das Gefühl, dass in den letzten Jahren mehr Mütter bereit sind, sich stärker gegen Benachteiligungen zu wehren. Aber viele wissen gar nicht, dass sie benachteiligt wurden. Oder welche Rechte ihnen zustehen. Da ist noch viel Aufklärungsarbeit zu leisten. Gesetze bringen ja nichts, wenn sie nicht angewendet werden.
Woran liegt es, dass viele Eltern ihre Rechte nicht kennen oder geltend machen? Stecken dahinter auch Ängste?
Viele wissen nicht, dass es eine Rechtsverletzung gab und wie man seine Rechte durchsetzt. Dann muss man natürlich auch die Nerven und den Mut haben, für seine Rechte einzustehen. Und da sind wir leider wieder beim Thema Erschöpfung und den alltäglichen Herausforderungen, die man als Mutter hat, unter einen Hut zu bringen. Sich gegen Benachteiligungen zu wehren, schaffen viele kräftemäßig und gesundheitlich nicht. Da braucht man Partner:innen an seiner Seite und sei es eine Anwältin oder Beraterin, um den nötigen Mut zu bekommen, für sich einzustehen. Das kann auch ein finanzielles Thema sein. Wenn man keine Rechtsschutzversicherung hat, kann es gerade im Arbeitsrecht so sein, dass eine Klage wirtschaftlich keinen Sinn macht. Man muss also auch gucken, wie man die Menschen erreicht, die nicht die Möglichkeit oder Mittel haben, sich mit dieser Thematik zu beschäftigen.
Wo liegen aktuell die besonderen Herausforderungen für Eltern?
Durch die Coronakrise haben wir eine erhebliche Veränderung in der gesamten Arbeitswelt, etwa durch die Verlagerung ins Homeoffice. Das klingt natürlich erstmal toll, weil sich ja alle Homeoffice gewünscht haben. Ich sehe das aber auch kritisch, etwa wenn um den Wiedereinstieg nach der Elternzeit geht. Klar kann man Videocalls machen, aber der persönliche Kontakt geht verloren und es ist schwieriger, wieder in den Job reinzukommen. Oft ist es so, dass man sich zeigen muss, um sich wieder zu behaupten. Aber auch generell haben sich die Nachteile auf dem Arbeitsmarkt verschärft. Ich habe den Eindruck, dass bei vielen Arbeitgeber:innen Misstrauen herrscht, Vorurteile nach dem Motto: "Wir haben ja gesehen, wer zu Hause bleibt, wenn die Kita geschlossen wird und wie viel Kinderkrankentage jemand hat." In der Coronazeit kam es oft zu Vorbehaltskündigungen, weil das Kind zu oft krank war. Ab Ende 20 stehen Frauen eh unter Generalverdacht, jederzeit schwanger werden zu können, wodurch in den Köpfen vieler Arbeitgeber Sorgen entstehen und sie letztendlich doch lieber einen Mann einstellen. Viele Auswirkungen sind nicht nur im Job-Kontext sondern auch zu Hause spürbar.
Inwiefern?
Ich glaube, diese Grunderschöpfung spüren viele Eltern immer noch. Corona war eine sehr belastende Zeit und hat immer noch Auswirkungen auf viele Kinder. Weil ihnen in den letzten zwei, drei Jahren statistisch 200 Schultage fehlen, merke ich, dass die Pandemie auch bei meinen beiden Kindern Spuren hinterlassen hat. Da muss ich mich als Elternteil verstärkt hinter klemmen, um Bildungsverluste aufzuholen. Das kostet auch Zeit und Energie. Klar könnte ich mir Nachhilfe leisten, ich denke da aber auch an viele, die es sich nicht leisten können. Diese ganzen Umstände darf man neben den ganzen anderen normalen Herausforderungen nicht vergessen. Alleinerziehende kann man hier nochmal aufführen und Kinder, die nochmal ganz anders darunter leiden. Vor ein paar Tagen habe ich Statistiken gelesen, die belegen, dass die Selbstmordraten bei Jugendlichen hochgehen und die psychischen Belastungen.
Was können Eltern selbst gegen Benachteiligungen im Job tun, ohne auf Entscheidungen der Politik zu warten?
Sie können Absprachen verschriftlichen oder wenn man in einem Gespräch merkt, dass die Stimmung angespannter wird, sich Zeugen dazu holen. Oder sich Zugeständnisse wie "Kein Problem, dass du nächstes Jahr in Teilzeit wiederkommen willst" schriftlich bestätigen lassen oder formal richtige Anträge stellen. Im Zweifel hat man nämlich Pech, wenn Formvorgaben und Fristen nicht eingehalten wurden und das passiert leider immer wieder. Es ist auch wichtig, proaktiv Gespräche zu suchen, auch wenn man es schöner fände, wenn der Arbeitgeber von sich aus auf einen zugehen würde. Es hilft, sich frühzeitig damit zu beschäftigen, wie der Wiedereinstieg nach der Elternzeit gelingen kann und dann auch wieder ein paar Monate bevor es wieder los geht, Gespräche zu führen, Fragen zu stellen und sich bemerkbar zu machen. Während der Elternzeit würde ich auch nicht komplett von der Bildfläche verschwinden. Um den Wiedereinstieg abzusichern, kann man sich vor Beginn der Elternzeit auch ein Zwischenzeugnis geben lassen, in dem Position und Arbeitsleistung dokumentiert sind. Weiß man über das eigene Stellenprofil Bescheid und in welcher Hierarchieebene man im Unternehmen arbeitet, gelingt ein Wiedereinstieg in einem gleichwertigen Job möglicherweise eher, wenn vielleicht nicht sicher ist, in welche Position man zurückkehrt, weil der Arbeitsvertrag nicht mehr passt.
Welche Tipps haben Sie als Anwältin, wie Familie und Beruf besser vereinbart werden können?
Damit Vereinbarkeit gelingt, sind natürlich alle Akteur:innen gefragt. Man kann immer versuchen, klare Absprachen zu treffen, in der Hoffnung, mit dem Arbeitgeber Lösungen zu finden, mit denen beide Seiten zufrieden sind. Zumindest wenn man weiterhin in diesem Unternehmen bleiben und die Karriere dort vorantreiben möchte. Wenn also gesagt wird, dass Teilzeit auf gar keinen Fall geht, dann kann man fragen, welche Bedenken die Option auf Teilzeit auslöst. Man kann Teilzeit ja auch auf Probe vereinbaren. Meistens ist es eine Vertrauensfrage. Wenn das Vertrauen auf beiden Seiten da ist, was nur geht, wenn man einander zuhört, kann das gut funktionieren. Aber natürlich gibt es auch Arbeitgeber:innen, die nicht offen sind. Dann muss man überlegen, ob man dort noch richtig aufgehoben ist.