Schlaf-Retreats liegen im Trend. Doch wer hofft, hier endlich mal auszuschlafen, liegt falsch. Was stattdessen passiert, erklärt uns Dr. Pramsohler, Schlafmediziner und ärztlicher Leiter am Clinical Spa "Bleib Berg F. X. Mayr Retreat" in Kärnten.
EMOTION: Retreats bieten immer häufiger Schlafkuren an. Ist Schlafen so ein Problem?
Dr. Pramsohler: Ja, Schlafstörungen haben zugenommen. So wie überhaupt weniger geschlafen wird. Allein über die letzten 100 Jahre hat sich die Schlafenszeit in Europa pro Nacht um ungefähr eine Stunde verkürzt.
Was hilft, um besser zu schlafen?
Grundsätzlich ist es wichtig, abends wirklich zur Ruhe zu kommen. Bei uns im „Bleib Berg“ haben wir sogar den Tagesablaufpunkt „Abends zur Ruhe kommen“. Das bedeutet, dass das Handy ab 20 oder 21 Uhr ausgeschaltet bleibt. Dann lässt man den Tag Revue passieren, schreibt nieder, welche Sorgen und To-dos aufgekommen sind, was am nächsten Tag wichtig wird. Aber dann versucht man, den Tag gut abzuschließen, mit positiven Gedanken wie: Ich hab einen sicheren Job, eine schöne Beziehung. Und es gilt die Regel: Im Bett wird nur geschlafen. Und: Geschlafen wird nur im Bett.

Kein Fernsehen im Bett, kein Schlummer auf dem Sofa?
Genau. Schlafgestörte Menschen holen sich oft über den Tag hinweg kleine Ruhepausen, sie gehen dann extra früher ins Bett und finden auch dadurch in der Nacht schlechter in den Schlaf. Das ist ein Teufelskreis. Vielfach unterschätzt wird auch die Bedeutung von Licht. Erst wenn wir Licht ausgesetzt sind, wird die Melatoninausschüttung geblockt. Melatonin macht schläfrig. Wenn wir also nicht genug Licht bekommen, finden wir dann am Tag nicht in unsere Energie und abends nicht zur Ruhe.
Aber woran erkenne ich, ob ich an einer ernsthaften Schlafstörung leide?
Wenn Sie länger als drei Monate und mehr als dreimal pro Woche von Schlaf- und Tagesbefindlichkeitsstörungen betroffen sind, sollten Sie zu einem Schlafmediziner gehen. Wir kennen vier Formen der Schlafstörung, die jeweils 10 bis 15 Prozent der Bevölkerung im Laufe ihres Lebens betreffen. Die gute Nachricht: Sie sind alle sehr gut behandelbar. Im "Bleib Berg" sind wir auf die insomnische Störung spezialisiert. Die Ursache für Ein- und Durchschlafschwierigkeiten ist dabei, dass viele die Sorgen des Tages mit ins Bett nehmen, sodass es in der Nacht zu unangenehmen Gedankenkreisen kommt. Morgens ist man entsprechend nicht erholt.
Und wie helfen Sie den Patient:innen?
Wenn die Gäste zu uns kommen, klären wir erst mal mit Fragebögen, Somnographie, gegebenenfalls Schlaflabor, welche Form der Schlafstörung vorliegt. Das ist wichtig, denn teilweise liegen wir auch mit unserer Erstdiagnose falsch. Für die insomnische Störung arbeiten wir dann mit einem Therapiekonzept, das zehn Tage dauert und aus vier Modulen besteht.
Wie sehen diese Module aus?
Das erste ist Aufklärung. Was ist guter Schlaf? Was sind Schlafmythen? Das zweite: Entspannungstechniken und Stressmanagement. Das dritte Modul ist dann Schlafrestriktion und Stimuluskontrolle.
Das müssen Sie erklären.
Wir verkürzen die Zeit im Bett. Denn viele Patienten reagieren auf den Schlafentzug, indem sie immer früher ins Bett gehen, wo sie sich dann stundenlang hin und her wälzen. Statt acht Stunden darf der Patient jetzt nur vier Stunden im Bett bleiben. Und zwar so viele Nächte, bis er diese vier Stunden auch wirklich schläft. Das klingt einfach, es wirkt aber super.
Aber damit schlafen die Patient:innen doch immer noch zu wenig.
Zunächst geht es darum, sie wieder in einen guten Rhythmus zu bringen. Durch die längeren Wachphasen wird der Schlafdruck abends so stark, dass Grübelphasen automatisch verkürzt werden, was das Einschlafen erleichtert. Und wenn der Patient dann einige Tage bei den vier Stunden in guten Schlaf gefunden hat, darf er eine halbe Stunde früher zu Bett gehen. So tastet man sich zu einer gesunden Schlafeffizienz vor. Im vierten Modul werden schlafhinderliche Gedanken umgemünzt. Von einem „Ich muss schlafen“ zu einem „Der Schlaf kommt von ganz allein“. Vielen ist schon geholfen, wenn man ihnen im Schlaflabor nachweisen kann, dass sie nicht nur die gefühlten drei Stunden geschlafen haben, sondern fast sechs. Die Fehlwahrnehmung des Schlafes ist ein wichtiger Aspekt der Schlafstörung.
Hilft es, den Schlaf per Fitnesstracker im Blick zu behalten?
Insomniker weisen oft einen gesteigerten Perfektionismus auf. Die nehmen die hohen Leistungsansprüche des Tages mit ins Bett. Solche Geräte gehören also weg.
Dieser Artikel erschien erstmals in EMOTION 8-9/23.
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