Wenn Paare sich trennen, lautet der Grund für das Beziehungsaus oft "Wir haben uns auseinandergelebt". Wir fragen die Paartherapeutin Nele Sehrt: Gibt es in solchen Fällen auch andere Optionen als die Trennung?
EMOTION: Woran merkt man als Paar, dass man sich in unterschiedliche Richtungen entwickelt?
Nele Sehrt: Grundsätzlich entwickeln wir uns ja immer. Große Veränderungen passieren, wenn man sie sich genau anschaut, nie plötzlich. Und es ist sehr selten, dass Entwicklungen parallel ablaufen – man kann sich also schon darauf einstellen, dass man sich auch mal auseinanderentwickelt. Ich stelle mir das gerne so vor wie bei Eisschollen.
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Die sind gleichwertig nebeneinander, denn es geht ja gar nicht darum, dass eine:r sich weiterentwickelt und plötzlich mehr wert ist. In unserer Leistungsgesellschaft wird das aber gerne so gesehen. Feststellen, dass man sich voneinander weg entwickelt, kann man als Paar frühzeitig über Kommunikation. Oder man merkt es daran, dass man immer weniger Zeit als romantisches Liebespaar miteinander verbringt. Die große Frage ist ja: Wann kommuniziert man eine Veränderung – erst, wenn die Entwicklung schon abgeschlossen ist?
Was ich wichtig finde: Den Partner oder die Partnerin am eigenen Entwicklungsprozess zu beteiligen.
Nele Sehrt, Diplom-Psychologin, Paar-, Sexual- und TraumatherapeutinTweet
In einer Beziehung, in der gut kommuniziert wird, kann man derartige Entwicklungen also schneller und besser feststellen?
Es ist etwas komplizierter. Die Frage ist: Ab wann kann man sich selbst vertrauen, dass die Entwicklung oder die Gedanken wichtig genug sind, um sie dem Partner oder der Partnerin mitzuteilen? Es kann ja auch nur ein kleiner Impuls sein, der von selbst wieder weggeht. Wenn man merkt, dass die Entwicklung bereits abgeschlossen ist, kann das ein Zeichen dafür sein, dass man sich vorher zu wenig ausgetauscht hat. Was ich wichtig finde: den Partner oder die Partnerin am eigenen Entwicklungsprozess zu beteiligen.

Nele Sehrt ist Diplom-Psychologin, Paar-, Sexual- und Traumatherapeutin und betreibt in Hamburg ihre eigene Praxis. Ihr erstes Buch "Liebe passiert, Beziehung ist Arbeit" ist im September 2020 erschienen. An der Internationalen Gesellschaft für systemische Therapie e.V. (IGST) hat sie seit 2022 die Seminarleitung für die beiden einjährigen Weiterbildungen "Systemische Paartherapie" und "Systemische Sexualtherapie" übernommen.
Was passiert, wenn man seinem Partner oder seiner Partnerin zu spät von den eigenen Gedanken und Entwicklungen erzählt?
Es gibt ja auch Vorteile, wenn man länger wartet – man ist sich dann sicherer. Aber es wird auch komplizierter. Je später man das kommuniziert, desto schwieriger wird es, diesen Weg gemeinsam zu gehen. Egal, ob es da um einen Fetisch oder Träume wie Kinder oder Heiraten geht. Entscheidend ist, wie man damit umgeht. Wenn der oder die andere das Gefühl hat, noch mitgestalten zu dürfen, ist es meist einfacher.
Derjenige, der verändern möchte, sollte auch klar sagen, was bestehen bleiben soll.
Nele SehrtTweet
Wie laufen solche Entwicklungsphasen in Paarbeziehungen ab?
Meist fängt eine:r an, zu ziehen – diese romantische Vorstellung, dass beide zum gleichen Zeitpunkt die gleichen Ziele haben, ist im realen Leben selten. Wenn eine:r sich entwickelt, merkt der Partner bzw. die Partnerin das meist – und versucht, das Bestehende festzuhalten. Oft ist diese Phase für beide emotional sehr aufwühlend und anstrengend. Es wird viel diskutiert, man hat das Gefühl der Entfremdung. Aber in dieser Instabilität beginnt dann der Prozess, diese Reibung kann ja auch spannend sein. Da wird offenbart, welche Werte wem wichtig sind. Sicherheitsliebende Menschen fühlen sich da oft vor den Kopf gestoßen. Derjenige, der verändern möchte, sollte auch klar sagen, was bestehen bleiben soll.
Wenn man merkt, dass die eigenen Wünsche nicht erfüllt werden können oder umgekehrt nicht mit den Träumen des Partners oder der Partnerin zurechtkommt – ist eine Trennung dann die einzige Option?
Nein – vielmehr ist es eine tolle Entwicklungschance. Wenn man diese Ängste, zum Beispiel, dass man unwichtig für den Partner oder die Partnerin geworden ist oder der Partner bzw. die Partnerin die eigene Entwicklung ablehnt, kommuniziert, haben beide die Möglichkeit, etwas Neues zu lernen: Sind das realistische Befürchtungen oder eher irrationale Ängste? Durch die Reflexion und den Austausch darüber hat das Paar die Möglichkeit, diese Befürchtungen zu lindern und neue Wege miteinander zu entwickeln. Das ist natürlich nichts, wo man sich einmal zusammen hinsetzt und das durchspricht – sondern ein Prozess.
Wenn man sich mit diesem Prozess schwertut: Kann eine Beziehungspause helfen? Das ist ein Thema, das viele spaltet. Wie findet man für sich raus, ob das eine Option ist?
Manche Paartherapeut:innen würden dazu raten, manche nicht. Ich sage: Ich bin keine Hellseherin, sondern Psychologin. Aber wenn man das für sich erwägt, ist es auch wichtig, einige Fragen abzuklären: Gibt es einen zeitlichen Rahmen für diese Pause? Ist man danach auf jeden Fall noch ein Paar? Ist es okay, sich in der Zwischenzeit mit anderen zu treffen? Das muss gestaltet werden. Man muss sich auch fragen: Was soll die Trennung auf Zeit bezwecken? Kann man dieses Ziel erreichen, wenn man sich nicht miteinander auseinandersetzt? Hier ist, wie so oft, Kommunikation gefragt. Denn nichts entwickelt sich von alleine.
Wie geht man mit persönlichen Entwicklungen in einer Beziehung um? 3 Tipps von Paartherapeutin Nele Sehrt
- Nicht jeden Gedanken, jeden kurzen Impuls oder Wunsch, den man hat, sofort unreflektiert mitteilen. Das überfordert den Partner oder die Partnerin und sorgt für Unsicherheit. Vorher muss man sich fragen: Bin ich mir sicher, dass das wichtig genug ist, um es zu sagen?
- Den Partner oder die Partnerin am Prozess teilhaben zu lassen. Es ist eine Form von Wertschätzung, zu fragen: "Was wäre, wenn ich Lust hätte, für drei Monate ins Ausland zu gehen? Fändest du das gut oder nicht?" Nur so kann man Träume und Ziele gemeinsam entwickeln. Mitspracherecht heißt außerdem noch lange nicht, dass man einander etwas verbieten kann. Man kann es so betrachten: Man selbst hat 51 Prozent Entscheidungsgewalt, der Partner oder die Partnerin 49 Prozent.
- Ehrlich sein. Besonders, wenn man Entwicklungen quasi heimlich und ohne Einbezug des Partners oder der Partnerin durchlaufen hat und das erst spät kommuniziert, nagt das am Vertrauen der Paarbeziehung. Denn wer wichtige Dinge wie Träume nicht mitteilt, steht schnell unter Verdacht, auch bei Angelegenheiten wie Treue nicht die Wahrheit zu sagen.
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