Ja, du kannst tatsächlich steuern, was du im Schlaf erlebst – wenn du luzides Träumen, also Klarträumen beherrschst, sagt Traumcoachin Sarah Alles. Wie man das lernen kann, verrät sie hier.

Sarah Alles macht in ihren Träumen gerne, was sie will – eine Fähigkeit, die sie als Coachin auch anderen beibringt (die-klartraeumer.de, nächster Kurs im Oktober). Außerdem ist sie Schauspielerin. Hier erklärt sie uns, wie Klarträumen funktioniert.
Sarah, was hast du letzte Nacht geträumt?
Ich hatte einen luziden Traum! Er fing als Albtraum an, ich wurde verfolgt und habe mich zusammen mit einer Gruppe von Menschen versteckt. Irgendwann habe ich bemerkt, dass ich an einer Hand sechs Finger habe – ein Zeichen dafür, dass ich träume. Also habe ich den anderen erklärt, dass es keinen Grund dafür gibt, sich vor jemandem zu verstecken, weil die Verfolger:innen uns nichts Böses wollten. Schlussendlich haben wir dann alle zusammen eine Party gefeiert.
Das mit den sechs Fingern musst du erklären.
Das ist ein sogenannter Reality-Check. Damit erkennt man, ob man träumt. Das Gehirn baut im Traum eine fiktive Welt auf und das kann es auch ganz gut, aber in den Details versagt es oft. Hände sind zum Beispiel ein sehr detailreiches und kompliziertes Gebilde, das ein Gehirn oft nicht schafft nachzubauen. Deswegen hat man im Traum manchmal sechs Finger an einer Hand oder es wachsen Finger aus Fingern. Wenn man sich im echten Leben angewöhnt, Reality-Checks zu machen, springt das kritische Bewusstsein auch im Traum automatisch an. Das ist der zweite Schritt, um luzid zu träumen.
Was ist der erste?
Die Traumerinnerung zu trainieren. Jeder Mensch träumt jede Nacht. Wir vergessen es oft nur einfach wieder. Damit das nicht passiert, hilft es, Traumtagebuch zu führen. Was bei mir auch ein Durchbruch war: den letzten Gedanken am Abend und den ersten am Morgen an meine Träume zu schicken. Diese beiden ersten Schritte, die Traumerinnerung und das kritische Bewusstsein, sind die größten Hürden. Danach fängt der Spaß an: das Erschaffen.
Wie kann man sich das vorstellen?
Du wünschst dir Dinge oder Personen herbei – und dann sind sie da. Du kannst ganze Welten erschaffen, verschiedene Orte besuchen, alles, was du möchtest.
Wie real fühlt sich so ein luzider Traum an?
Sehr real. Unser Gespräch könnte gerade auch ein Traum sein – Moment, Reality-Check: Ne, ich hab keine sechs Finger. (lacht) Spaß beiseite. Seit ich luzid träumen kann, ist für mich ein zweites Leben erwacht, eine zweite Welt, die sich so real anfühlt wie die Wachwelt.
Aber die Menschen, die ich im Traum treffe – vor allem prominente Menschen – sind doch dann trotzdem einfach nur meine eigene Vorstellung von diesen Menschen, oder?
Ja, aber die Vorstellung ist so intensiv, dass uns das in dem Moment nicht bewusst ist. Ich sage zu meinen Klient:innen immer: Wenn ihr im Traum Menschen trefft, erwartet, dass sie nett sind, denn dann sind sie es auch. Diese Traumbilder kommen uns trotzdem unheimlich real vor.
Kann man im Klartraum auch Dinge lernen?
Man kann sie üben. Wenn man zum Beispiel in der Realität schon Klavier spielen kann, dann kann man im luziden Traum Stücke trainieren. Allein dadurch, dass man es in Gedanken macht, verbessern sich die motorischen Fähigkeiten. Für einen Test zu lernen, funktioniert auch. Etwas ganz Neues zu erlernen, ist schwierig, weil du im Traum ja niemanden hast, den du anleiten kannst, es dir beizubringen.
Bist du in einem luziden Traum schon mal gestorben?
Ja, bei den ersten Malen bin ich allerdings immer aufgewacht. Aber dann hab ich es geschafft, im Traum zu bleiben.
Wie hat sich das angefühlt?
Als wäre ich eine Ebene tiefer aufgewacht, als sei ich in einen weiteren, viel ernsteren und klareren luziden Traum eingetaucht, nur auf einer anderen Frequenz. Es kann natürlich auch sein, dass das die Vorstellung meines Unterbewusstseins war, wie es sich die Welt nach dem Tod vorstellt. Aber ich habe mich mal mit einem anderen Klartraum-Experten darüber ausgetauscht und der berichtete davon, dass Teilnehmer:innen seiner Forschungsgruppen ähnliche Erfahrungen gemacht hätten. Tatsächlich hat mir dieser Traum ein wenig die Angst vorm Sterben genommen. Auch, wenn es sich vielleicht seltsam anhört: Seitdem glaube ich, dass mit dem Tod das Leben nicht zu Ende ist.
Gibt es Grenzen in einem luziden Traum?
Die einzige Grenze ist deine Vorstellungskraft. Ich hatte mal einen Klienten, bei dem es tatsächlich daran gehapert hat. Immer, wenn er sich in seinem Klartraum etwas gewünscht hat, hat er etwas Kleineres bekommen. Wollte er surfen, erschien ihm zum Beispiel zwar ein Surfbrett – aber in der Größe eines Skateboards. Irgendwann hat sich herausgestellt, dass das mit einer Kindheitserfahrung zusammenhängt. Er hatte sich etwas zum Geburtstag gewünscht, aber etwas anderes bekommen. Dadurch ist bei ihm der Glaubenssatz entstanden: Das, was ich mir wünsche, bekomme ich nicht.
Man kann im Klartraum also auch viel über sich selbst lernen.
Das ist auch etwas, für das ich das luzide Träumen in Zukunft mehr nutzen möchte: um meine Schattenseiten kennenzulernen. Das sind die Eigenschaften von mir, die ich wegdrücke und verurteile. Im Traum kann ich lernen, mit ihnen umzugehen. Ich möchte zu der Sarah werden, die ich wirklich bin – mit all ihren Ängsten und Träumen. Erst kürzlich hat mir ein luzider Traum geholfen, eine wichtige Entscheidung zu treffen. Klarträumen kann in vielen Bereichen hilfreich sein.
Könnte das auch bei psychischen Verstimmungen helfen?
Ja, es gibt einige Menschen, deren Arbeit ich verfolge, die mithilfe von luzidem Träumen posttraumatische Belastungsstörungen und Phobien behandeln. Natürlich in Begleitung eines Therapeuten. Klarträumen ist mehr als nur ein Hobby, es ist ein Persönlichkeitsentwicklungstool. Ich arbeite zum Beispiel erfolgreich an einem gesunden Selbstwert mit meinen Träumen. Das Tolle ist, dass man nicht mal groß Zeit aufwenden muss: Man macht es wortwörtlich im Schlaf.
Wieso beherrschen es dann nur so wenige Menschen?
Klarträumen ist eine ganz natürliche Fähigkeit, die jeder von uns hat, wir trainieren sie nur nicht. Manchen Menschen fällt es leichter, man kann sagen, sie haben ein Talent dafür. Für die meisten ist es wie ein Muskel, der regelmäßig trainiert werden muss. Diesen Fokus zu lernen, sich abends auf den Übergang in die Traumwelt zu konzentrieren und all die Dinge, die einem noch vom Tag durch den Kopf gehen, beiseitezuschieben, ist nicht einfach. Auch ich arbeite ständig weiter daran. Ungefähr einmal die Woche gelingt es mir, einen luziden Traum zu haben – und es ist jedes Mal eine Freude. Es macht mir einfach sehr viel Spaß, mich in meiner Traumwelt austoben zu können. (lacht)
So lernst du Klarträumen
1. Traumerinnerung trainieren
Das kann man z. B. mithilfe eines Traumtagebuchs oder Mantras: Sag dir kurz vorm Einschlafen einfach mehrmals vor: "Ich werde mich an meinen Traum erinnern."
2. Kritisches Bewusstsein
Um zu realisieren, dass du träumst, musst du Reality-Checks in deinen Alltag integrieren: Teste in seltsamen Situationen, ob du mit zugehaltener Nase atmen kannst, ob deine Hände normal aussehen etc. Dieser Impuls springt irgendwann dann auch im Traum an.
3. Das Erschaffen
Der einfachste Schritt: Stell dir im Traum genau vor, was du willst, wenn du zum Beispiel Dinge und Menschen hervorzauberst oder dein Umfeld verändern möchtest. Setz dir selbst keine Grenzen!
Dieser Artikel erschien zuerst in EMOTION 8/9/23.
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