Am Weltfrauentag am 8. März geht es um Gleichberechtigung, Frauenrechte und Feminismus. Wir können den Tag auch zum Anlass nehmen uns zu fragen: "Wer will ich eigentlich sein?" Denn häufig treffen wir diese wichtige Entscheidung gar nicht bewusst selbst, sondern lassen uns von den gesellschaftlichen Erwartungen an uns leiten. Zwei Frauen erzählen, was sie leitet und wie sie das entdeckt haben.
Durchatmen und los: Tamara im Sabbatical
Ein Sabbatical nutzen viele Leute, um zu reisen. Es ist aber auch ideal, um herauszufinden, was man wirklich will. Dafür sollte die Auszeit vor allem eins sein: Frei von Plänen. Wann bekommen wir im vollgepackten Alltag schon die Möglichkeit, uns zu fragen, ob wir eigentlich das richtige Leben leben? Homeoffice, dazu vielleicht noch Homeschooling, haben das Problem noch verschärft: Wir bekommen keinen Abstand mehr zu unserem täglichen Spinning. Und so wächst bei vielen Menschen die Sehnsucht nach Freiraum.
"Unsere Jobwelt zeichnet sich heute vielfach durch hohe Arbeitsverdichtung, einen ausgeprägten Leistungsanspruch, Termindruck und ständige Erreichbarkeit aus", sagt Dr. Iris Hauth, Fachärztin für Psychiatrische Medizin und ärztliche Direktorin des Alexianer St. Joseph-Krankenhauses Berlin-Weißensee. In der Freizeit sähe es bei vielen nicht besser aus: "Der Wunsch nach Selbstoptimierung kommt noch hinzu. Und die ständige Erreichbarkeit in den sozialen Medien, geprägt von der Angst, irgendetwas zu versäumen." So ähnlich ging es auch Tamara Greif. Anfang 2021 hatte sie sich deshalb eine viermonatige Auszeit genommen. Sie wollte mal bewusst runterkommen. "Ich habe immer etwas gemacht und wenn nicht, habe ich schon den nächsten Schritt geplant", sagt die 27-Jährige. Ein Sabbatical schon mit 27? Ist das nicht ganz schön früh? Nicht, wenn man sich Tamaras Lebenslauf anschaut: Jahrelang hatte sie ordentlich Gas gegeben, parallel zwei Studiengänge abgeschlossen, in den Semesterferien Praktika gemacht, zum Berufseinstieg in zwei Jobs gearbeitet. Mit ihrer Position als Pressesprecherin in einem kleinen Verlag in Innsbruck war Tamara zwar sehr zufrieden, aber trotzdem merkte sie: So will ich nicht mehr weitermachen. Seit ihrer Kindheit leidet sie unter Migräne, der innere Druck war beständig hoch. Ihre Freizeit kam ihr immer wieder wie eine lange To-do-Liste vor. Verabredungen abzusagen, fiel ihr trotzdem schwer. Vom Sabbatical versprach sie sich Me-Time und Ruhe. Sie wollte herausfinden, wie sie überhaupt leben will, wollte jeden Tag wie ein leeres Blatt beginnen.
Es ist entscheidend, Muße zu haben, also eine Zeit frei von fremden Interessen
Dr. Iris Hauth, Fachärztin für Psychiatrische MedizinTweet
Besonders wichtig: Zeit zum Nichtstun
"Ein Sabbatical kann ein sinnvolles Rausziehen aus High-speed-Aktivitäten sein, in denen wir fremdkontrolliert funktionieren", sagt Hauth: "Dafür ist es wichtig, Abstand zum Alltag zu gewinnen, zum Beispiel durch Reisen oder persönliche Projekte. Aber vor allem geht es darum, sich Zeit zum Nichtstun zu schaffen." Zu verreisen war für Tamara keine Option: "So toll das auch ist, es ist dann wieder ein Plan, den ich abarbeiten muss." Zu Hause hatte sie ja eigentlich alles, was sie braucht. Jeden Tag versuchte sie nur zu machen, worauf sie Lust hatte. Dr. Hauth sagt: "Bei einer Auszeit, in der man sich auf sich selbst konzentrieren möchte, ist es entscheidend, Muße zu haben, also eine Zeit frei von fremden Interessen."
Tamara hatte Glück: Ihr Chef genehmigte das Sabbatical ohne Zögern, zwei Monate später ging es bereits los. Das ist nicht der Normalfall. Nur im öffentlichen Dienst gibt es einen gesetzlichen Anspruch auf ein Sabbatical. Als solches gilt, wenn man während einer Auszeit zur Erholung oder Weiterbildung gesetzlich kranken- und rentenversichert bleibt und danach an den Arbeitsplatz zurückkehrt. Auf dem freien Markt ist es Verhandlungssache, ob einem ein Sabbatical zugestanden wird, in vielen Unternehmen hat es sich schon als Benefit etabliert. Ob Lohnverzicht oder Teilzeit-Modell, die Möglichkeiten sind vielfältig, auch die Länge kann individuell festgelegt werden. Laut einer Umfrage auf Xing von 2017 hat jede:r zehnte Befragte bereits ein Sabbatical gemacht und weitere 21 Prozent planten eine berufliche Auszeit.
Optimal ist es, wenn wir im Sabbatical einen Mix hinbekommen aus Erfahrungen, die wir zum ersten Mal machen, in denen wir uns also neu erleben können, und Momenten, in denen wir in Ruhe einfach nur in uns hineinhorchen. Neurowissenschaftler:innen haben das Gehirn bei diesem nicht-zielgerichteten Denken untersucht und festgestellt, dass dabei andere Hirnregionen aktiv sind: das "Default Mode Network", unser Ruhezustandsnetzwerk. "Das Hirn beschäftigt sich dann mit Introspektionen, dem Selbst und der eigenen Identität", sagt Dr. Hauth: "Dabei tauchen Erinnerungen erlebter Situationen wieder auf und können erneut reflektiert werden. So können wir bisherige Standpunkte überprüfen und auch verändern." Damit ist wissenschaftlich belegt, dass eine Auszeit helfen kann, das Ich-Gefühl zu stärken. Und damit eine Basis dafür legen kann, das Leben noch einmal anders anzugehen.
Plötzlich ergibt alles Sinn
Tamara hat aus ihrem Sabbatical viele Erkenntnisse mitgenommen. Mehr, als sie erwartet hatte: "So tief lernt man sich ja wirklich nur in der Ruhe kennen. Ansonsten werden solche Gedanken immer überlagert von den Dingen, die halt anstehen", sagt die Pressesprecherin. Sie habe in ihrer Auszeit viel Vergangenes von der Schulzeit bis jetzt verarbeitet: Sie erkannte Zusammenhänge in ihrem Lebenslauf, bemerkte Verhaltensmuster und alte Glaubenssätze, die sie steuern. Ihr ist zum Beispiel klar geworden, dass sie immer sehr ehrgeizig war, schon als kleines Mädchen. Das straffe Alltagsprogramm, das ihr vorher wie eine Last vorkam – es war also gar nicht so fremdbestimmt, sondern das, was sie sich aus Ehrgeiz geschaffen hatte. Nur war sie übers Ziel geschossen, über die Jahre war ihr das Empfinden für ihre Grenzen verloren gegangen.
Das ist jetzt anders. Denn das Gefühl für ihren Körper und seine Bedürfnisse hat sich seit der Auszeit verbessert. Rückblickend erkannte Tamara: Je mehr Stress sie hatte, desto häufiger meldeten sich die Kopfschmerzen. "Heute habe ich kaum noch Migräne", sagt Tamara. Sie sei seit ihrem Sabbatical viel ausgeglichener und noch selbstbewusster – im wahrsten Sinne des Wortes. In ihren Alltag hat sie inzwischen viele kleine Auszeiten eingebaut. Mittwochs ist immer Tamara-Tag. Dann nimmt sie keine Verabredung an, denn die hat sie bereits mit sich selbst.
Sibel sagt: "Meine Abenteuerlust leitet mich"
Sibel Bicer ist 26, Grafikerin und Videografin. Der EMOTION verrät sie, was ihr Leben für die ausmacht.

"Ich hab lange gebraucht, meine Wünsche wirklich ernst zu nehmen. Zum Beispiel endlich surfen zu lernen oder demnächst ein zweites Studium anzufangen. Im Bereich Kunst und Kultur habe ich mich aber schon immer gesehen – und genau da bin ich jetzt, ich arbeite viel für Theaterproduktionen. Grundsätzlich fahre ich immer gut damit, Dinge einfach zu machen und daraus dann mein Lebensmodell abzuleiten, nicht umgekehrt. Wichtig ist mir dabei, gelernte Rollenbilder nicht blind zu reproduzieren. Meine Generation hat ganz eigene Ansätze, zu lieben, zu wohnen und zu arbeiten. Ich hadere auf jeden Fall mit dem Konzept, dass der Job im Mittelpunkt des Lebens stehen muss. Meine Abenteuerlust, Neugier und Fantasie möchte ich immer behalten."
Mehr Themen: