Amerikanische Psycholog:innen sind der Frage nachgegangen, was für Menschen ein „gutes“ Leben ausmacht. Überraschenderweise ist die Antwort nicht zwangläufig Glücklichsein.
„Der Sinn des Lebens besteht darin, glücklich zu sein“: Ein Spruch des Dalai Lamas, der viele Postkarten ziert und als inspirierende Lebensweisheit gilt. Das Streben nach Glück ist für viele Menschen zu einer Lebensaufgabe geworden – heutzutage vermutlich mehr denn je. In den sozialen Medien prasseln Zitate auf uns ein, die uns zum Glücklichsein auffordern, Coachings und Selbsthilfeangebote wollen uns dabei helfen, unser Leben weiter zu optimieren, damit wir doch endlich glücklich werden.
Muss ein "gutes" Leben immer ein glückliches sein?
Aber muss ein "gutes" Leben denn auch immer bedeuten, dass wir glücklich sind? Die Psychologin Dr. Erin C. Westgate von der University of Florida und ihr Kollege Shigehiro Oishi von der University of Virginia würden diese Frage vermutlich mit "Jein" beantworten. Denn ihre neue Studie verändert den Blick auf die Definition eines "guten" Lebens. Neben dem Faktor "Glück" und "Sinnhaftigkeit" haben Westgate und Oishi haben jetzt herausgefunden, dass für einige Menschen ein anderer Aspekt viel wichtiger im Leben ist. Und das ist der des "psychologischen Reichtums".
Das macht psychologischen Reichtum aus
Aber was verbirgt sich hinter diesem sperrigen Begriff? Ein psychologisch reiches Leben definieren Westgate und Oishi wie folgt: "Ein Leben, das von einer Vielzahl interessanter und perspektivisch wechselnder Erfahrungen geprägt ist“. Mit anderen Worten: Je mehr außergewöhnliche, perspektivverändernde und komplexe Erfahrungen wir in unserem Leben machen, desto größer wird unser psychologischer Reichtum. Solche Erfahrungen können zum Beispiel Auslandssemester, viele Reisen, Umzüge oder Berufwechsel sein. Aber auch negative Erfahrungen wie Trennungen und Verluste, die wir als besonders schmerzhaft einordnen würden, können unsere Perspektive auf eine psychologisch bereichernde Weise verändern.
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Westgate und Oishi behaupten übrigens nicht, dass ein psychologisch reiches Leben in irgendeiner Weise besser oder mehr Wert sei als ein glückliches oder ein sinnhaftes Leben. Die drei Faktoren können müssen sich auch nicht gegenseitig ausschließen. Den beiden Wissenschaftler:innen ging es vielmehr darum, aufzuzeigen, dass ein "gutes" Leben aus verschiedenen Dimensionen bestehen kann und nicht für jede:n gleichbedeutend ist.
In einer anderen Studie fragten die Wissenschaftler:innen insgesamt 3728 Menschen aus neun Ländern, welches der drei Leben sie bevorzugen würden: Ein glückliches, ein sinnhaftes oder ein psychologisch reiches: 16,8 Prozent der befragten Deutschen entschieden sich dabei für ein psychologisch reiches Leben, die Werte in anderen Ländern waren ähnlich. Heißt also auch: Ein Großteil der Menschen stellt ein sinnhaftes oder glückliches Leben über psychologischen Reichtum.
Wie können wir von einem psychologisch reichen Leben profitieren?
Wer dem Prinzip eines glücklichen Lebens folgt, wird vor allem mit sehr viel Zufriedenheit und Geborgenheit belohnt und kann vermutlich am Ende seines Lebens behaupten, dass er/sie besonders viel Spaß hatte. Wer sich nach einem Leben voller Sinn sehnt, folgt moralischen Prinzipien und findet vielleicht seine persönliche Berufung oder will Großes in der Welt bewirken. Wem psychologischer Reichtum wichtig ist, der oder die geht wahrscheinlich besonders und neugierig durch das Leben, sucht Herausforderungen und Weisheit und kann am Ende sagen, dass er/sie ein spannendes und abwechslungsreiches Leben voller Erfahrungen hatte. Es ist also auch eine Frage des Charakters, wie man ein "gutes" Leben für sich selbst definiert. Menschen, die psychologischen Reichtum anstreben, sind laut den Autor:innen der Studie häufig auch extravertiert und bringen ein hohes Maß an Offenheit mit.
Fazit: Es gibt nicht das eine "gute" Leben
Was wir aus der Studie für uns mitnehmen können? Es gibt keine Vorlage für ein "gutes" Leben, der wir folgen müssen, sondern wir dürfen ganz individuell für uns definieren, was dieses für uns ausmacht. Sich selbst einmal zu fragen, wonach man sich im Leben sehnt, kann helfen, mit mehr Selbstbewusstsein hinter den eigenen Lebensentscheidungen zu stehen und die von anderen Menschen besser zu verstehen. Es kann außerdem eine befreiende Erkenntnis sein, dass Glück nicht der ultimative Maßstab eines guten Lebens sein muss, sondern auch andere Aspekte wie Sinnhaftigkeit und psychologischer Reichtum eine Rolle spielen dürfen. Und: dass wir der nächsten Postkarte, die uns zum Glücklichsein auffordert, auch getrost den Rücken zukehren dürfen.
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